Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
einen Prozess, in dem »Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffe eine Erkenntnis formen«, um daraus »brauchbare Handlungsanweisungen zu gewinnen«.
Blöd nur, dass diese Anweisungen in der Praxis häufig völlig unbrauchbar sind – egal, ob wir nun Vordenker, Nachdenker oder Querdenker sind. Unsere Gedanken sind selten objektiv, unsere Schlussfolgerungen oft unlogisch. Eher gehorchen sie Instinkten, Illusionen und Irrationalitäten. Der Neurophysiologe Benjamin Libet von der Universität von Kalifornien in San Francisco konnte zum Beispiel zeigen, dass unser Gehirn schon eine halbe Sekunde vor einer bewussten Handlung mit deren Vorbereitung begonnen hat. Mit anderen Worten: Noch bevor wir anfangen, darüber nachzudenken, hat unser Unterbewusstsein schon eine erste Entscheidung gefällt. Seit René Descartes’ Leitmotiv – Ich denke, also bin ich – sind zwar inzwischen über 350 Jahre vergangen, die Welt ist um einiges schnelllebiger geworden und ständig droht uns heute mentale Überlastung. Doch über den Existenzialismus hinaus konnte eine vielleicht viel wichtigere Frage bislang noch nicht geklärt werden: Auch wenn ich bin, was denke ich eigentlich? Das folgende Kapitel liefert Ihnen ein paar Antworten.
DER FLYNN-EFFEKT
Wird der Mensch immer klüger?
1984 erhielt der Sozialwissenschaftler James Flynn von der Universität von Otago in Neuseeland ein Paket, das eine lange Reise hinter sich hatte. 18 000 Kilometer hatte es zurückgelegt, der Absender kam aus Utrecht. Flynns niederländische Kollegen hatten ihm die Ergebnisse ihrer Intelligenztests geschickt, die zwei verschiedene Generationen von 1 8-Jährigen absolviert hatten. Eine Testreihe stammte aus den Achtzigerjahren, die andere aus den Fünfzigerjahren. Flynn sah sich die Daten genauer an und stutzte – die Ergebnisse aus den Achtzigern waren deutlich besser als jene aus den Fünfzigern. Nicht nur ein wenig, sondern wirklich sehr viel besser. Flynns Neugierde war geweckt, jetzt wollte er mehr Datenmaterial.
Also recherchierte der Neuseeländer die Ergebnisse von Intelligenztests weltweit – Europa, Nordamerika, Asien, Afrika. Irgendwann hatte er Daten aus fast 30 Ländern beisammen. Seine Vergleiche ergaben jedes Mal dasselbe: Die globalen Intelligenzquotienten stiegen jedes Jahr um 0,3 Punkte – ein Plus von immerhin drei Punkten pro Dekade. So wie es schien, wurde die Menschheit immer intelligenter. Der Name dieses Phänomens: Flynn-Effekt.
James Flynn führte den Anstieg globaler Cleverness vor allem auf die Folgen der industriellen Revolution zurück. Im Laufe der Jahrzehnte ernährten sich die Menschen immer gesünder, bekamen besseren Zugang zu Bildung, ebenso machte die Medizin Fortschritte. Etwas plumper könnte man freilich auch schlussfolgern, die Steigerung liege daran, dass die Probanden die I Q-Tests immer mehr durchschauten und sich entsprechend vorbereiteten, sodass sie zwangsläufig besser abschnitten.
Intelligenztests sind seit jeher umstritten. Getestet wird überwiegend verbales wie mathematisches Verständnis. Am Ende wird aus den erreichten Punkten ein Intelligenzquotient (IQ)gebildet, der den Unterschied ausdrücken soll zwischen Genie (150 Punkte) und Grütze (3 Punkte). Sie merken schon, ganz unpoblematisch ist das nicht. Insbesondere dann, wenn mittels IQ die spätere Erfolgswahrscheinlichkeit für einen Menschen prognostiziert werden soll, Motto: Wer unter 100 Punkten liegt, aus dem wird ohnehin nichts. Solche Vereinfachungen sind so eindimensional wie falsch.
Viel entscheidender aber ist, dass sich der Flynn-Effekt seit einiger Zeit ins Gegenteil verkehrt: Inzwischen werden wir allesamt wieder dümmer. Dieses Fazit lassen zumindest die Studien des norwegischen Psychologen Jon Martin Sundet von der Universität Oslo zu. Er untersuchte vor einiger Zeit die I Q-Wer te junger Norweger zwischen 1950 und 2002 und stellte fest: Bis Mitte der Neunzigerjahre stiegen die Werte, danach fielen sie wieder. Zu einem ähnlichen Resultat gelangte ein dänischamerikanisches Forscherteam um Thomas Teasdale und David Owen. Für ihre Studie aus dem Jahr 2005 werteten sie die I Q-Tests von insgesamt 500 000 Dänen in den Jahren von 1959 bis 2004 aus. Auch hier das gleiche Bild: In den späten Neunzigerjahren erreichten die Werte einen Höhepunkt, seitdem fallen sie. Deutschlands führender Intelligenzforscher Siegfried Lehrl beobachtet hierzulande Vergleichbares. Demnach sinkt der
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