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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wir sonst vielleicht ausgeblendet hätten. Das bedeutet natürlich, dass wir diesen unbequemen Zeitgenossen wirklich zuhören und ihre Gedanken überhaupt zulassen müssen   – auch, wenn sie dabei manchmal unser Weltbild ins Wanken bringen.
    Der zweite Weg ist aber genauso wichtig: Wir brauchen eine unbestechliche und zuverlässige Gedächtnisstütze im Kampf gegen den schmeichelhaften Selbstbetrug. Ein Tagebuch zu schreiben, kann dabei zum Beispiel außerordentlich nützlich sein: Was hat Sie damals dazu bewogen, sich so zu entscheiden? Was wollten Sie erreichen? Was haben Kritiker gesagt? WelcheAlternativen gab es? Und was ist am Ende herausgekommen? All diese Fragen helfen Ihnen, Ihre Wahl auch später noch realistisch zu beurteilen, daraus zu lernen und künftig bessere Entscheidungen abzuleiten. Der zweite Effekt solcher Chroniken ist aber auch nicht zu verachten: Sie lesen schwarz auf weiß, wie gut Ihre »objektiven« Prognosen wirklich sind.

DER SEMMELWEIS-EFFEKT
    Warum wir uns dem Fortschritt verweigern
    Der Mann, den sie später den »Retter der Mütter« nannten, wurde sein Leben lang von seinen Kollegen gehasst, gemieden und ausgegrenzt. Am Ende erlitt er darüber einen Zusammenbruch und starb in einer Nervenheilanstalt   – einsam und in geistiger Umnachtung. Dabei verdanken bis heute Millionen Menschen Ignaz Philipp Semmelweis ihr Leben.
    Er war gerade 28, als er 1846, knapp zwei Jahre nach seinem Doktorabschluss, Assistenzarzt in der Geburtsabteilung des Kaiser Josef II.   Krankenhauses in Wien wurde. In jener Zeit starben dort jedes Jahr rund 2000   Frauen am sogenannten Wochenbettfieber   – einer Infektionskrankheit, bei der Keime über die Gebärmutter eindringen und zu einer tödlichen Blutvergiftung führen können. Allerdings beschränkte sich die tückische Erkrankung nicht auf die österreichische Hauptstadt: Im 19.   Jahrhundert kostete sie in Europa über eine Million Frauen das Leben. Ein Kind zu gebären, war damals mindestens so riskant wie eine Lungenentzündung.
    Als Semmelweis seine Stelle antrat, lag die Sterblichkeit von jungen Müttern auf seiner Station bei rund 18   Prozent, in anderen Kliniken sogar bei 30   Prozent. Das heißt: Mehr als jede vierte Frau starb bei der Geburt ihres Kindes. Jedoch galt das nicht füralle Krankenhausabteilungen gleichermaßen. Auf Semmelweis’ Station, wo zahlreiche weitere Ärzte und Medizinstudenten arbeiteten, starben deutlich mehr Frauen am Kindbettfieber als in der Station nebenan, in der nur Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Den jungen ungarischen Arzt machte das misstrauisch. Also ging er der Sache nach und untersuchte zahlreiche Mütter noch viel gründlicher als sonst. Keine gute Idee, wie sich bald herausstellte. Denn nun stieg die Zahl der Todesfälle noch dramatischer an, sodass sich werdende Mütter schon bald weigerten, hier niederzukommen.
    Semmelweis war völlig verzweifelt. Er schlief schlecht und machte sich schwere Vorwürfe: Er, der Menschen doch eigentlich helfen und neues Leben zur Welt bringen wollte, sollte schuld am Tod von zahlreichen Müttern sein? Ein grotesker Gedanke. Jedoch einer, der ihn nicht mehr ruhen ließ. So vertraute er sich seinem Freund und Kollegen an, dem Gerichtsmediziner Jakob Kolletschka.
    Doch es schien, als laste ein böser Fluch auf Semmelweis. Schon bald begegnete ihm auch hier wieder der Tod: Während einer Leichensektion wurde Kolletschka von einem seiner Studenten mit dem Skalpell verletzt. Nur ein kleiner Schnitt zwar   – doch der reichte. Binnen weniger Tage starb Kolletschka ebenfalls an einer Blutvergiftung. Sein Krankheitsverlauf zeigte derart viele Parallelen zu den tragischen Fällen auf der Wöchnerinnenstation, dass Semmelweis nun erst recht hinter das Geheimnis der tödlichen Ursache kommen wollte   – und diesmal fand er die Lösung.
    Tatsächlich untersuchten die Ärzte und Nachwuchsmediziner seiner Abteilung die verstorbenen Mütter regelmäßig. Im ständigen Wechsel behandelten sie aber auch die werdenden Mütter   – jedoch ohne sich zwischendurch die Hände zu desinfizieren, geschweige denn diese zu waschen. Heute mag man darüber die Nase rümpfen, aber damals war das schlicht nicht üblich, und keiner kam auch nur entfernt auf die Idee, dass dabei Tausende Keime und Bakterien übertragen wurden. Die Hebammenschülerinnen dagegen führten weder vaginale Untersuchungendurch, noch kamen sie mit Leichen in Berührung. Entsprechend niedrig war bei ihnen

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