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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sahen diese trotzdem welche   – wie bei einem Rorschachtest: Je weniger Sinn die Bilder ergaben, desto mehr interpretierten die Probanden hinein. Danach sollte sich die eine Hälfte der Versuchsteilnehmer an eine Situation erinnern, in der sie völlig überfordert waren; die zweite Gruppe sollte an ein Erfolgserlebnis denken. Anschließend wurden allen Probanden drei Geschichten von übernatürlichen Phänomenen erzählt. Und siehe da: Die ersteGruppe war für derlei metaphysisches Brimborium deutlich empfänglicher. Oder wie es die Forscher erklären: Weil die Probanden zuvor eine Situation mit hohem Kontrollverlust gedanklich durchlebten, verspürten sie anschließend ein gesteigertes Bedürfnis nach einer Erklärung, nach einem Sinn der Phantasiegeschichten. Es kommt aber noch doller: Im dritten Versuch gaben Whitson und Galinsky ihren Probanden ein paar zusammenhangslose Informationen sowie positive und negative Bewertungen über zwei Unternehmen. Auch hier begannen die Teilnehmer das Sinnlose sofort in scheinbar logische Zusammenhänge zu sortieren. Mehr noch: Am Ende waren sie bereit, auf Basis ihrer Schlussfolgerungen Investitionsentscheidungen zu treffen. Schierer Wahnsinn!

DER KULESHOV-EFFEKT
    Warum unsere Augen unser Urteil beeinflussen
    Manchen Menschen soll
ES
regelrecht ins Gesicht geschrieben stehen. Erstaunen. Überraschung. Wut. Oder auch Kreditwürdigkeit. Das zumindest behauptet Jefferson Duarte, Assistenzprofessor für Finanzwissenschaften von der Rice-Universität in Houston. Wie er darauf kommt? Duarte untersuchte das Erfolgsgeheimnis eines neuen Geschäftsmodells im Internet: Privatbanken namens Prosper oder Smava, bei denen sich die Mitglieder gegenseitig Geld leihen.
    Um die Kreditwürdigkeit zu prüfen, stehen den Mitgliedern dort allerlei Optionen zur Verfügung, darunter auch die Fotos der Kreditnehmer. Um die Geschichte kurz zu machen: Tatsächlich erwiesen sich bei Duartes Stichproben jene Menschen als vertrauenswürdiger, denen man das irgendwie schon vorher ansah. Zugegeben, wirklich belastbar sind diese Ergebnisse nicht.Dafür erinnern sie letztlich zu stark an die Pseudowissenschaft der Physiognomik, bei der unter anderem versucht wird, aus der Mimik oder den Gesichtszügen eines Menschen einzelne Charaktereigenschaften abzuleiten. Das ist natürlich Mumpitz.
    In Wahrheit sind es eher die Umstände, die Zusammenhänge und noch mehr die Bilder und Emotionen, die wir vorher gesehen beziehungsweise verspürt haben, die unsere Interpretation beeinflussen. Was wirklich dahintersteckt, ist ein sehr alter Effekt, den der sowjetische Regisseur und Filmtheoretiker Lev Kuleshov als Erster entdeckt und ihm auch seinen Namen vermacht hat.
    Der Kuleshov-Effekt tritt etwa dann auf, wenn das Gehirn versucht, Bilder (oder wie im Film aufeinanderfolgende Einstellungen) zusammenzufügen. Und zwar auch dann, wenn diese eigentlich gar nicht zusammengehören. Erschreckend daran ist, dass wir diese Bilder oder Gesichter anschließend bewerten   – ob wir wollen oder nicht. Viele Filmregisseure machen sich diesen Effekt zunutze. Etwa im Film ›Das Fenster zum Hof‹, gedreht vom Großmeister der subtilen Zuschauermanipulation: Alfred Hitchcock. Darin gibt es eine Großaufnahme von James Stewart, wie er aus dem Fenster schaut und ein Hündchen sieht, das in einem Korb in den Hof hinuntergelassen wird. Schnitt. Wieder Großaufnahme Stewart   – er lächelt. Schnitt. Jetzt sieht der Zuschauer ein nacktes Mädchen im Fenster gegenüber, das sich vor dem offenen Fenster dreht und wendet. Schnitt. Es folgt dieselbe Großaufnahme von Stewart, dasselbe Lächeln. Das Bild ist kopiert. Doch jetzt sieht der Hauptdarsteller aus wie ein Lüstling.
    Kuleshovs Kollege, Iwan Mosschuchin, trieb den Effekt einmal sogar zum Extrem: Er montierte dasselbe neutrale Gesicht eines Schauspielers immer wieder mit anderen Bildern zusammen   – prompt veränderte sich dessen Ausstrahlung. Gesicht und ein voller Suppenteller: hungrig. Gesicht und strahlende Sonne: freudig. Gesicht und Beerdigung: traurig. Auf die Spitze getrieben, könnte man fast sagen: Der Schauspieler muss gar nicht mehr spielen   – es kommt lediglich auf die Regie und Schnittfolge an.
    Was im Film ein bewusster Kunstgriff ist, stellt im Alltag eine trügerische Falle da. Tatsächlich begegnet uns der Kuleshov-Effekt auf der Straße, an der Supermarktkasse oder wenn uns fremde Menschen in einer Bar ansprechen. Dann beurteilen wir sie binnen Sekunden,

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