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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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die Rate der infizierten Wöchnerinnen. Es war die Eingebung seines Lebens, für die Semmelweis nun kräftig Werbung machte. Nach jeder Leichenautopsie wusch er seine Hände und sämtliche Instrumente mit einer Lösung aus Chlor und Zitronensäure. Dasselbe ordnete er für seine Studenten an. Prompt sank die Sterblichkeitsrate in seiner Station auf drei Prozent.
    Dann gab es einen herben Rückschlag: Noch einmal erkrankten in seiner Abteilung gleich zwölf Mütter auf einen Schlag am Wochenbettfieber. Doch das konnte Semmelweis jetzt nicht mehr aus der Bahn werfen, er war sich seiner Sache inzwischen sicher, forschte erneut nach und erkannte, dass die Ansteckungsgefahr nicht nur von den Leichen ausging, sondern ebenso von allen anderen Menschen auf der Station. Daraufhin ordnete er an, Hände und Instrumente grundsätzlich zwischen zwei Behandlungen zu reinigen und desinfizieren. Das Ergebnis sprach für sich: Zwei Jahre nach seiner Anstellung als Assistenzarzt verringerte sich die Zahl der Kindbettfieber-Todesfälle auf insgesamt 1,3   Prozent. Ein sensationeller Tiefststand in ganz Österreich-Ungarn.
    Man sollte meinen, dass die anderen Ärzte Semmelweis dafür auf die Schulter klopften, dass sie seinem Beispiel folgten, ja, dass sie ihn gar beförderten oder ihm wenigstens eine Auszeichnung für seine Entdeckung gaben. Der Mann rettete wirklich Leben. Nachweislich! Doch es kam anders: Die Kollegen kritisierten ihn, mieden ihn und beschimpften seine Schlussfolgerungen als spekulativen Unfug. Hygiene sei pure Zeitverschwendung, meinten manche. Andere griffen ihn öffentlich an, weil sie nicht wahrhaben wollten, dass ausgerechnet sie   – die Heilsbringer   – Verursacher tödlicher Infektionen sein sollten. Und von den wenigen, die ihm glaubten, brachten sich einige besonders Gewissenhafte um, weil sie mit ihrer schweren Schuld schlicht nicht leben wollten. Sie erwiesen Semmelweis damit letztlich einen Bärendienst.
    Am Ende wurde sein Vertrag im Krankenhaus nicht verlängert,de facto kam das einer unehrenhaften Entlassung gleich.

    So musste Semmelweis im März 1849 unter Schimpf und Schande aus dem Krankenhausdienst ausscheiden. Zerknirscht und gedemütigt kehrte der 3 0-jährige Arzt in seine ungarische Heimat zurück und praktizierte dort eine Zeit lang am Krankenhaus in Pest, wo er die Sterblichkeitsrate unter seinen Patienten auf 0,85   Prozent senkte, während sie in Wien wieder auf rund 15   Prozent hochschnellte.
    Die Geschichte ist eine echte menschliche Tragödie. Zumal Semmelweis zu Lebzeiten nie die Anerkennung erfuhr, die ihm zugestanden hätte. Das eigentlich Bemerkenswerte an seinem Forschungsverdienst aber ist gar nicht mal so sehr die Entdeckung der Hygiene in der Medizin. Es ist die unglaubliche Ignoranz der Ärzte und der Wissenschaft, die   – vielleicht als späte Reue   – heute seinen Namen trägt: Semmelweis-Effekt, der auch Semmelweis   – Reflex genannt wird. Man muss sich das mal vorstellen: Unsachgerechtes Händewaschen unter Ärzten ist bis heute einer der Hauptverursacher von über zwei Millionen Infektionen jährlich und rund 90   000   Todesfällen allein in den USA.   Das Prinzip dahinter lässt sich aber ebenso gut auf zahlreiche weitere Bereiche übertragen: Immer dann, wenn Innovationen etablierten Verhaltensmustern oder Paradigmen widersprechen; immer dann, wenn die Menschen darauf so reagieren, dass sie den Fortschritt nicht akzeptieren, honorieren und umsetzen, sondern eher bekämpfen, weil er ihren Status infrage stellt, dann ist der Semmelweis-Effekt im Spiel. Auch das ist eine Tragödie. Eine immer noch aktuelle.

DER OVERCONFIDENCE-EFFEKT
    Warum wir uns so oft überschätzen
    Bitte mal kurz konzentrieren. Quizfrage: Welcher Schauspieler nuschelte in seinen Filmen so stark, dass er kaum zu verstehen war?
     
    a) Hans Moser
    b) Gustav Zeter
    c) Norbert Nörgel
    d) Paul Motzki
     
    Florian Stork, 24, Jurastudent aus Köln, war sich ganz sicher, dies zu wissen   – und wählte Antwort d. Richtig gewesen wäre Antwort a. Halb so wild? Jein   – denn Stork passierte dieser Fauxpas ausgerechnet als Kandidat bei ›Wer wird Millionär‹. Storks Strafe: Er ging mit null Euro nach Hause. Dabei war er sich doch so sicher gewesen.
    Ein klassisches Beispiel für Hybris. Übermut tut selten gut   – kommt aber deshalb nicht seltener vor. Dahinter steckt ein psychologischer Mechanismus, den die beiden Ökonomie-Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky

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