Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
Vom Netzwerk:
schenkte man ihm Vertrauen und klammerte sich an ihn, als wäre er das Schicksal und Gott.
    Ich kehrte ins Feld zurück. Aber es widerstrebte mir aus Herzensgrunde, eine Sache durch meine Wissenschaft und Kunst als Arzt zu unterstützen, die ich verabscheute – und an deren Erfolg ich nicht mehr glaubte. Oder war es ein anderer Grund, der mich dazu bewog, mich zur Kampftruppe zu melden statt zur Sanitätstruppe?
    War es auch bei mir die Unterseele , die an die Oberfläche wollte, hatte auch ich Blut geleckt (mir war oft genug ein Tropfen heiß ins Gesicht gespritzt) und wollte einer von denen sein, die wissen, wie es ist, wenn man Menschen tötet, statt bloß hinten zu warten und das gutmachen zu wollen, das man vorne mit Absicht schlecht gemacht hatte? Welchen Sinn hatte es, Menschen vom Tode zu retten, wenn der Staat sie, kaum genesen, wieder ins Spiel einsetzte? Amputierte kamen zwar nicht mehr an die Front. Aber man ließ sie methodisch turnen, man erzog sie für den nötigen Beruf, brachte die Ersatzgliedmaßen zur höchsten Vollendung. In der Etappe und im Hinterland machten sie sich dann auf irgendeine Weise nützlich und machten dadurch andere Männer frei, die Kanonenfutter wurden. Auch die Frauen wurden eingestellt, im gleichen Sinn. Aber das alles ist es nicht, ich gestehe es ein. Es zog mich, meine ganze Energie strebte nach etwas, wogegen sich die Vernunft vergeblich sträubte. Was hilft es, sich durch logische Gründe klarmachen zu wollen, was aus ›unberechenbaren Schwankungen des innersten Gefühls‹ hervorkam? Ich habe dann bei einem ›Stoßtrupp‹ für besondere Gelegenheiten, von langweiligem Schanzdienst und Wachdienst befreit, mehr als einen Nahkampf mitgemacht, ein paar handfeste, kaltblütige, mutige Kameraden neben mir. Ich bin an der Spitze meiner Kerle mehr als einmal bei Tag und auch bei Nacht vorgebrochen, ich habe Handgranaten geschleudert und habe am Maschinengewehr gesessen und habe das Wasser im Kühler summen hören und habe die hölzerne Handhabe der Mitrailleuse (vielleicht ein Erzeugnis meines Vaters) hin und her bewegt und habe mich vor dem Tode nicht gefürchtet. Ich habe nicht nur für meine Person einen guten Stürmer abgegeben, sondern habe meine Leute so in der Hand gehabt, daß sie mir in den sicheren Tod gefolgt wären, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich sah sie an, nichts weiter. Nie hat sich einer geweigert. – Nicht allen Offizieren ist dies gelungen. Ich habe schon als Arzt oft genug die Kranken besser bezwungen, durch Wachsuggestion oder Hypnose, als der alte Kaiser. Das war jetzt sehr gut.
    Solange ich nicht mit dem Feind (uns standen indische Truppen, sogenannte Gurkhas , gegenüber) in persönlichem Kampf war, war alles einfach. Der technische Kampf, aus der Distanz geführt, gibt einem nichts. Aber man muß es einmal erfahren haben, was das andere ist, was die Urgeschlechter vor Jahrtausenden gekannt und geliebt haben, man muß einmal kampffreudig mit dem blanken Bajonett vorgegangen sein. Man muß einmal über die knirschenden Sandsäcke, die Eierhandgranaten in den Fäusten, eine rechts, eine links, vorgedrungen sein, man muß den Stacheldraht an seinen Hosen und den dicken Wickelgamaschen einen zurückzerren gespürt haben, man muß sich unter unbeschreiblichem Gefühl zugleich davor gegraut und danach gesehnt haben, den riesenlangen braunhäutigen Kerl mit dem Turban auf dem Kopf, in Khaki untadelig gekleidet, vor seiner Brust zu haben und mit ihm zu ringen, wenn die ihm entgegengeschleuderten Handgranaten nicht explodiert waren. Man muß sich, während er sich etwas bückte, um gedeckt die seine nach einem zu schleudern, das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett von der rechten Schulter herabgerissen haben, man muß ihm mit einem geschickten Stoß an der richtigen Stelle das Bajonett zwischen die Rippen gebohrt haben, man muß ihn in seiner fremden kehligen Sprache aufheulen gehört haben, ihn erblassen gesehen haben und wie er seine Augen mit dem riesigen gelblichen Weiß um die Pupille hin und her wälzte, wie er nach vorn griff, wie seine Hände sich blutig schnitten im Bemühen, das Bajonett aus der Wunde zu ziehen, während ich es in der Wunde mit Mühe umdrehte und tiefer in seinen Körper eindrang, damit schon alles schnell zu Ende sei, er erledigt und ich weiter zu andern – man muß erlebt haben, wie sich sein sterbender, erlahmender Körper auf das Bajonett so schwer auflastete, daß ich es bis in die Schulter spürte, wie sein Kopf niedersank

Weitere Kostenlose Bücher