Ich. Die Autobiographie
Gefühle gehen in meinen Kopf rein. Die Musik empfinde ich tief in meinem inneren Selbst. Da ist überhaupt keine Aggressivität, wie sie in deutschen Kompositionen sein kann. Auch Beethoven liebe ich, Tschaikowsky, die Russen. Toll! Ich schwinge mit. Sergei Prokofjew, nach dem Nurejew oft getanzt hat. Mozart ist mir zu verspielt. Sicher bin ich jetzt ungerecht, aber ehrlich gesagt, hängt mir als Salzburger Mozart zum Hals heraus. Ich berausche mich an den Italienern. Verdi, Rossini … Sie sind nicht unbedingt leicht, aber ihre Musik lebt in ihrer eigenen Unbeschwertheit.
Ich bin kein Opernkenner. Damals zu Luchinos Zeiten ebenso wenig wie heute. Deshalb waren für mich 1973 die Vorbereitungen zu »Ludwig II.« auch wahnsinnig schwer. Richard Wagner, der Freund des Königs, ist überhaupt nicht my cup of tea. Ein Riesenunterschied zu Verdi, dessen Musikalität sofort ins Ohr geht. Wagner braucht Konzentration. Eine schwere deutsche Musik. Visconti hatte zunächst auch lange Zeit seine Vorbehalte Wagner gegenüber, aber dann liebte er seine Musik, wie er deutsche Literatur liebte. Für mich war das ein Alptraum. Die Längen in Wagners Stücken. Den »Ring« habe ich bis heute nicht ganz durchhalten können. Könnte ich auch in Zukunft nicht. Während sich Luchino als Opernliebhaber stundenlang den Sinnhaftigkeiten in der Musik hingegeben hat.
Er gab mir ständig Nachhilfeunterricht. Das war auch nötig. Bei der Vorbereitung für »Ludwig II.« musste ich erst sämtliche Bücher über den bayerischen Märchenkönig studieren, dann die ganzen Biographien über Wagner. Luchino stieß mich mit der Nase auf Einzelheiten in Wagners Leben, in denen deutlich wurde, welches menschliche Schwein dieser Mann gewesen war. Stronzo, basta.
Wie er hinterrücks den König ausnahm, seine Intrigen spann, die Homosexualität des Monarchen für seine Interessen ausnutzte, gegen jede Moral Frau von Bülow – im Film von Silvana Mangano gespielt – in einem ehebrecherischen Verhältnis für sich gewann, um sie später zu heiraten. Richard Wagner ging es immer und ausschließlich nur um sich selbst. Er wollte sich ein Denkmal setzen, vom bayerischen König bezahlt. Dafür nutzte er jede erpresserische Machenschaft und fütterte ihn gnädig mit einer Komposition. Wenn Ludwig II. allerdings Wagners Schulden nicht bezahlte, konnte der Meister plötzlich nicht mehr komponieren. Wagner und seine Frau waren für mich ganz kühle Erpresser, fast schon richtige Gangster. Unbegreiflich! Aber so etwas gibt es heute sicher auch noch. Jedenfalls möchte ich nicht wissen, welche Hintergrundgeschichten es zu den Spice Girls gibt oder zu Madonna, die ich während ihrer »Evita«-Premiere in Rom kennenlernte.
Sie spielte ihre Rolle oscarreif, erhielt dafür immerhin den Golden Globe. Im Kino saß eine ganz andere Frau als die, die man von ihren Musikvideos her kennt. Sie kam in einem Kostüm aus Evitas Zeiten, den fünfziger Jahren, mit einem Blumenhütchen auf dem Kopf. Sehr witzig.
Luchino Visconti gibt Helmut Berger letzte Anweisungen während der Dreharbeiten zu »Ludwig II.« 1972.
Romy hatte was mit Willy Brandt, Delon blitzte immer wieder ab
Naja, Ludwig war seiner Zeit weit voraus, ein friedliebender Mensch, Kriegsgegner. Der erste, der sich für den Umweltschutz einsetzte – wenn auch von oben herab. So fuhr er nur mit einem kleinen eigenen Zug. Weil die Kohle die Natur verschmutzt, sollten keine Züge für seine Landsleute eingesetzt werden und als Massenverkehrsmittel durch bayerische Lande rauchen. Aber ich muss für den König nicht Pate stehen, er wühlt mich einfach auf, wenn ich über ihn spreche. Die tragische Geschichte um den Bayernkönig ist hinlänglich bekannt. Ich lernte wie verrückt für meine Rolle, mit der mich Luchino noch viel berühmter machte und mit der ich mich bis heute identifizieren kann.
Vor und während der Dreharbeiten konnte ich nur schlecht schlafen. Alles wirbelte durcheinander. Meine Fantasien, mein Ich, mein Wissen vom Märchenkönig. Dieses Durcheinander spukte in meinem Kopf herum. In meinen Träumen und irgendwann auch im richtigen Leben wurde ich Ludwig. Wirklich. Gewisse Ähnlichkeiten lassen sich ja auch nicht abstreiten. Meine tiefe Angst vorm Leben, die große Einsamkeit inmitten einer Menschenmenge, diese Selbstbeobachtung während der verhassten (Regierungs-)Geschäfte, das Gefühl, von den anderen einfach nicht verstanden zu werden. Und die hohe Sensibilität für
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