Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
Operationen befand sich in einem anderen Stadium der Ermittlungen, forderte jedoch ein gleichermaßen konzentriertes Vorgehen. Im Rahmen der Operation Panther, einem Korruptionsfall ungeahnter Ausmaße, liefen die bisher umfangreichsten verdeckten Maßnahmen seit Bestehen des Dienstes. Dort befanden wir uns mitten in der heißen Phase der Informationsverdichtung. Ein anderer Fall, Merw, stand nach zwei Jahren mitunter schwieriger operativer Arbeit vor dem Abschluss. Wir waren kurz davor, einen Ring von Rauschgiftverteilern um den russischen Drahtzieher Wladimir L. in Berlin zu zerschlagen.
Auch im Fall Merw war Tichow involviert. Er hatte mit teilweise riskanten Operationen maßgeblich zur Aufklärung beigetragen. Diese Akte würde in den nächsten Wochen geschlossen werden. P würde sie, wie immer bei Erfolgen dieser Kategorie, höchstpersönlich ins Ministerium tragen und sich zu seiner guten Arbeit gratulieren lassen. Unser P – Sie ahnen es bestimmt – ist, wie auch der AL, ein Macher.
Tichow hatten wir rechtzeitig vor den bevorstehenden polizeilichen Zugriffsmaßnahmen aus dem Umfeld unserer Zielpersonen abgezogen. Auch aus Berlin. Wir hatten für ihn eine Legende konstruiert,
die seine Umsiedlung nach München plausibel machte. Der Fall Merw unterlag wegen seiner politischen Dimension der höchstmöglichen Geheimhaltungsstufe: streng geheim. Wladimir L. investierte seine illegal erlangten Gelder, wie so viele andere Kriminelle seiner Liga, teilweise wieder zurück in den legalen Wirtschaftskreislauf. Natürlich aus rein strategischen Gründen. So war er nicht nur verflochten mit seinesgleichen, sondern auch bestens vernetzt mit wohlhabenden Unternehmern, der High Society und höchsten politischen Ebenen seines Landes. Seine legalen Geschäfte dienten ihm als Deckmantel, unter dem er seine Einnahmen aus Drogen- und Waffenhandel, Schutzgelderpressung, Prostitution und anderen kriminellen Geschäften sauber wusch. Tichow hatte uns letztlich die fehlenden Puzzleteilchen geliefert, um den Filz und die Verflechtungen im System Wladimir L. zu erkennen. Dass er dazu der richtige Mann war, hatte ich vielleicht schon beim ersten Blick in sein kantiges Gesicht unter der blonden Stoppelfrisur geahnt, das ich auf einem Observationsfoto entdeckt hatte, einem leicht unscharfen Schnappschuss einer Handykamera. Tichow, dessen wahren Namen wir damals noch nicht kannten und der folglich auch noch nicht seinen Decknamen trug, nahm eine Lieferung Heroin in Empfang und rauchte dabei eine Zigarette. Ich weiß bis heute nicht, warum, aber ich hatte das Gefühl, er könnte der Schlüssel sein, der uns Zugang zu Wladimirs Kreis verschaffte. Meine Intuition täuschte mich nicht. In meinem Buch Ich krieg dich! habe ich den Fall Merw beschrieben und wie ich Tichow dazu brachte, als Vertrauensmann für den Geheimdienst zu arbeiten.
Wladimir L. hatte keine Ahnung, wie nah wir ihm aktuell waren. Er hatte in letzter Zeit einige Rückschläge einstecken müssen, sich jedoch persönlich stets sicher gefühlt, getarnt und verpuppt in seinem dichten, klebrigen Netz. Die Vorbereitungen des Zugriffs liefen seit einigen Tagen auf Hochtouren. Zwei Dutzend Agenten,
sechs Staatsanwälte und über hundertzwanzig Polizeibeamte warteten bundesweit auf den passenden Moment, um zuzuschlagen. Diesmal würde Wladimir L. uns nicht entkommen – wir hatten mehr Beweise gesammelt, als P ins Ministerium würde tragen können. Diesmal würden wir die Organisation zerstören, die große Mengen harter und weicher Drogen nach Deutschland schmuggelte und Gegner sowie Konkurrenzorganisationen rücksichtslos eliminierte. Wie viele Tote es bereits gegeben hatte, konnten wir nur ahnen, da die Russen ihre Leichen für gewöhnlich nicht auf der Straße liegen lassen. Sie erregen kein Aufsehen. Was übrig bleibt, wird gut verschnürt, handlich verpackt und häufig versenkt. Wenn jemand komplett verschwindet, dann in der Heimat, in Weißrussland, in der Ukraine, wohin er vielleicht mit einem Auftrag geschickt wird. Auch so kann man das Wort Killerkommando interpretieren. Alles, was im Weg steht, wird plattgemacht. Irgendwann ertönt bei Anruf statt eines Freizeichens die Ansage: »Diese Nummer ist nicht vergeben … Diese Nummer ist nicht vergeben … Diese Nummer …«
Kein Wunder, dass das kleine Busunternehmen Sarai-Reisen in der Nachbarschaft dieser wirklich dicken Fische wenig Beachtung fand. Zu wenig, wie Sabine und ich meinten. Viele unserer
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