Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
großen Erfolge hatten ganz klein begonnen. Wir würden dranbleiben und dem Kind einen Namen verpassen.
Jeder Fall hat seinen Namen: Fall X, Operation Y, Mission Z. Agenten handeln nach dem Grundsatz: So viel wissen wie nötig und so wenig wie nötig. Das gilt auch intern. Jeder weiß nur, was er wissen muss. Der in Firmen sonst übliche Flurfunk – was gibt’s Neues, wer macht was, wo tut sich was – existiert auch beim Geheimdienst. Aber niemals über die Arbeit, also laufende Fälle und Ermittlungen. Aus Gründen der Geheimhaltung und des Quellenschutzes tragen alle Fälle abstrakte Namen, die keinen Rückschluss
auf Zielpersonen, Sachverhalte oder Deliktsbereiche zulassen. So kann zum Beispiel eine Observation für den Fall Panther geplant und organisiert werden, ohne dass die Einsatzkräfte im Vorfeld mehr Informationen erhalten, als sie notwendigerweise brauchen. Mit einem Gesprächsfetzen wie »Der Zugriff Marende steht bevor«, kann der zufällige Mithörer wenig anfangen, wenn er nicht eingeweiht ist.
Ein Fallname sagte bei uns oft mehr über das Ermittlungsteam aus als über den Fall an sich. Die Fälle des Teams, für das Philipp überwiegend arbeitete, trugen ausnahmslos kraft- und klangvolle Bezeichnungen wie Operation Puma, Adler, Monte Carlo, Bellevue, Diamant oder Rocky. Die Asiaten-Ermittler machten sich in alter asiatischer Karaoke-Tradition offensichtlich einen Spaß daraus, die Namen für ihre Missionen durch Bad-Taste-Contests zu bestimmen. So kam es zu Namen wie Plastikblume, King Kong oder Fall Auwei Auwei – bayerisch ausgesprochen, versteht sich. Die Fallnamen von Sabines und meinem Team waren so unberechenbar, wie wir sie haben wollten. Und das hatte einen guten Grund: Duden auf, Finger drauf, Fallname fertig: Deckname Tasse.
»Wenn der Name Programm ist, wird dabei nicht viel herauskommen«, prophezeite der AL, obwohl er es besser wissen sollte. Ein Name war bei uns nie Programm.
»Ach, wissen Sie, manche Tassen können sehr groß sein«, grinste Sabine, vor der, wie jeden Morgen bei der Lagebesprechung, ein XXL-Kaffeepot thronte, auf dem in großen roten Lettern zu lesen war: Solange mein Chef so tut, als würde ich viel verdienen, tue ich so, als würde ich viel arbeiten.
»Und manche heben sogar ab«, ergänzte ich. In der Nacht zuvor war den Zeitungen zufolge ein unbekanntes Flugobjekt über einem Feld bei Freising gesichtet worden.
Verständnislos schaute uns der AL an.
Sabine konnte sich nicht mehr beherrschen. Das kam selten vor. »Ufos«, prustete sie laut heraus, und der AL sah keine andere Möglichkeit, als mitzulachen, wenn auch gequält.
Zum jetzigen Zeitpunkt waren Höhenflüge nicht in Sicht. Die Hypothesen in unseren Köpfen konnten sich genauso gut als Luftschlösser erweisen. Aber so war es oft. Also kein ernsthafter Grund zur Sorge. Hier ein kleiner Hinweis, dort eine erste Quellenmeldung, eine winzige Spur, dann Ermittlungen, gelegentlich ein Zufall – und schließlich die Gewissheit: Da steckt ja wirklich was dahinter!
Dieses Stadium ist sehr kritisch und empfindlich. Als Menschen neigen wir dazu, das zu sehen, was wir sehen wollen. Wenn wir Hypothesen für bare Münze nehmen, lenken wir damit unsere Wahrnehmung unbewusst in die Richtung, die unsere Hypothese bestätigt. Wenn wir an etwas wirklich glauben, finden wir auch Beweise dafür. Egal, ob es stimmt oder nicht. Wir sehen nur noch das, was unsere Annahme zu bestätigen scheint, und sind blind für alles andere. Was im Alltag zuweilen ärgerlich sein mag, ist beim Geheimdienst zudem mit unnötigen Risiken, hohem Aufwand und im schlimmsten Fall mit der Verdächtigung von Unschuldigen verbunden. Deshalb ist es enorm wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und klar zwischen einer Annahme und einer Tatsache zu unterscheiden. Was einfacher gesagt ist als getan.
Agenten sind frei
Als Menschen bewerten wir ständig. Egal, ob wir beim Bäcker Brötchen kaufen oder in einer Verhandlung Geschäftspartner scannen. Und wir bewerten nicht nur Personen, sondern auch Sachverhalte. Das ist richtig und wichtig. Die Frage ist nur: Wie tun wir das? Auf welchen Erfahrungen, Erlebnissen und Erwartungen basieren unsere Ergebnisse? Letztlich brauchen wir nur unsere Erwartungen zu betrachten, und wir wissen, zu welchem Ergebnis wir als Menschen kommen wollen. Agenten gehen einen Schritt weiter. Sie wissen jederzeit, was sie tun, um nicht allein von ihrem Unterbewusstsein gesteuert zu werden. Bei einem Agenten
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