Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
Vom Netzwerk:
als fünfzig Meilen über ihren Heimatort Greensboro hinausgekommen. Alisha kannte sie noch nicht lange, sagte aber, sie mache einen sehr netten Eindruck. Nett ist eins von Alishas Lieblingswörtern, mit dem sie so ungefähr jeden beschreibt. Würde man ihr einen Tritt in die Magengrube verpassen, hatte man allenfalls eine Degradierung zu »halbnett« zu gewärtigen. Ich kenne niemanden, der so zurückhaltend im Urteil ist und so bereitwillig über Dinge hinwegsieht, die in meinen Augen oft schwere Persönlichkeitsdefekte sind. Wie bei allen meinen Freunden tendiert ihre Menschenkenntnis gegen null.
    Als die beiden Frauen am Freitagnachmittag in New York eintrafen, fiel mir schon bei der Begrüßung Alishas ungewöhnlich verzweifeltes Gesicht auf. Es war der Ausdruck eines Menschen, der zu spät erkannt hat, dass entweder sein Haus in Flammen steht oder er sich die falsche Reisebegleitung ausgesucht hat. »Zieh dich warm an«, flüsterte sie.
    Bonnie war eine griesgrämige, spindeldürre Person, deren dicke Backfischzöpfe wie Hanfstricke über die putzigen Hündchen auf ihrem Sweatshirt fielen. Sie hatte einen starken Greensboro-Akzent und war in der festen Überzeugung auf dem Kennedy-Airport gelandet, dass einem die Leute in New York bei der erstbesten Gelegenheit die Goldkronen aus den Zähnen klauen würden aber die sollten sie kennenlernen. »Als der Taxifahrer sagte: Sie klingen so, als wären Sie nicht von hier, wusste ich gleich, der Kerl will uns übers Ohr hauen. «
    Alisha legte beide Hände an den Kopf, um ihre unübersehbare Migräne zu massieren.
    »Ich wusste genau, was der vorhatte. Ich weiß, wo's langgeht, ich bin ja nicht blöd, also notierte ich mir seinen Namen und die Fahrzeugnummer und sagte, ich würde zur Polizei gehen, wenn er mir mit irgendwelchen Tricks käme. Schließlich bin ich nicht hergekommen, um mich hier ausnehmen zu lassen, und das hab ich auch gesagt, stimmt's, Alisha?«
    Sie zeigte mir die Taxi-Quittung, worauf ich ihr versicherte, der Preis sei völlig korrekt. Die Fahrt vom Kennedy-Airport zu jeder beliebigen Adresse in Manhattan sei pauschal dreißig Dollar.
    Sie stopfte die Quittung zurück in ihr Portemonnaie. »Nun, ich hoffe, der hat nicht auch noch auf ein Trinkgeld spekuliert. Ohne mich!«
    »Sie haben ihm kein Trinkgeld gegeben?«
    »Wie käme ich dazu!« sagte Bonnie. »Ich weiß nicht, wie's Ihnen geht, aber ich muss für mein Geld hart arbeiten. Es gehört mir allein, und Trinkgeld kriegt von mir keiner, der mir nicht den Service bietet, den ich erwarte. «
    »Na prima«, sagte ich. »Aber welchen Service erwarten Sie denn, wenn Sie noch nie im Leben Taxi gefahren sind?«
    »Ich erwarte, so behandelt zu werden wie jeder andere auch, nicht mehr und nicht weniger. Ich erwarte, wie eine Amerikanerin behandelt zu werden. «
    Genau da lag die Wurzel des Übels. Amerikanische Touristen werden in Teheran mehr Herzlichkeit finden als in New York, einer Stadt, deren Grundsatz lautet, wir gegen die. Ich kann kein Latein, aber für mich stand immer außer Frage, dass das Stadtmotto mit »Geht nach Hause« oder »Danke, wir mögen euch auch nicht« zu übersetzen wäre. Die meisten meiner Bekannten waren wie ich vordringlich deshalb nach New York gegangen, um sich nicht länger mit Leuten wie Bonnie herumschlagen zu müssen. Die Angst hatte zu unseren Gunsten gearbeitet, bis ein neuer Bürgermeister damit anfing, die Stadt als »Familien-Themenpark« anzupreisen. Seine Kampagne hatte so großen Erfolg, dass die Bonnies jetzt in Scharen einfielen und die gleiche Gastfreundschaft einforderten, die sie einen Monat zuvor in Orlando erfahren hatten.
    Ich hatte schon Besucher von überallher gehabt, aber Alishas Freundin war die erste, die mit einem kompletten Reiseprogramm anrückte, einem dicken Bündel von Broschüren und Fahrplänen, das sie in einem um die Taille geschnallten Nylontäschchen trug. Vor ihrer Abreise war sie in North Carolina in einem Reisebüro gewesen, wo man ihr eine Liste mit Ausflugszielen mitgegeben hatte, um die jeder vernünftige Mensch einen großen Bogen machte, erst recht an den Feiertagen, wenn die Massen hier Dimensionen wie in China annahmen. »Gut«, sagte ich. »Mal sehen, was sich machen lässt. Ich bin sicher, auch Alisha hat das eine oder andere vor, also wechseln wir am besten ab. «
    Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass Geben und Nehmen eine neue und nicht sehr angenehme Vorstellung für Bonnie aus Greensboro war. Sie kniff ihre Lippen

Weitere Kostenlose Bücher