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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Flock
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Toilettenpapier greifen kann, um mir den Mund abzuwischen, höre ich ein Klopfen an der Tür und Miss Marys Stimme. “Alles in Ordnung, Kindchen?”
    Ich kann nicht antworten, weil ich noch immer um Atem ringe, sie wartet meine Antwort aber sowieso nicht ab, kommt herein, streichelt meinen Rücken, und dann spüre ich, wie sie mir mit kühler Hand das Haar aus der Stirn streicht. Das fühlt sich so gut an, dass ich über die Toilette gebeugt bleibe, obwohl ich gar nicht mehr brechen muss.
    “Ich hab es übertrieben mit dieser Schachtel”, sagt sie. Ihre Stimme ist sanft, als würde sie mit einem Vogelbaby sprechen. “Mach dir bitte keine Gedanken mehr darüber. Wir fahren wieder nach Hause, wenn du magst. Wir halten nur kurz bei meinen Freunden und sagen hallo, und dann kratzen wir die Kurve.”
    “Nein! Bitte nicht.” Ich fahre herum und sehe sie an. Sie tupft mein Kinn mit einem Taschentuch ab, das nach Miss Mary duftet, nach einer Mischung aus Blumen und Reinigungsmittel. “Mir geht es wieder gut, echt. Bitte! Ich muss die Schachtel sehen. Ich muss einfach.”
    “Aber dir ist ganz schlecht vor Angst, Kindchen.”
    “Nein, ich schwör’s. Mir geht es gut. Bitte!”
    Ich wage nicht zu atmen, bis sie sagt: “Gut.” Allerdings runzelt sie dabei die Stirn. “Aber ich halte das für keine gute Idee mehr. Wir machen ganz schnell.”
    Ohne nachzudenken werfe ich die Arme um sie, so wie ich es immer bei Daddy gemacht habe, wenn er von einer Reise zurückkam. “Danke”, flüstere ich an ihrer Hüfte. Ihre Kleider riechen so gut. Ich spüre, wie ihre Hand auf meinem Kopf liegt, und einen Moment glaube ich, dass nie mehr was Schlimmes passieren kann. Nicht solange ich Miss Mary umarmen darf.
    Ike’s General Store ist nur ein paar Türen weiter, allerdings etwas weiter zurückversetzt. Wahrscheinlich wegen der Veranda, auf der Schaukelstühle und normale Stühle ohne Sitzflächen stehen. Man muss wirklich groß sein, um da nicht durchzufallen. In einem der Schaukelstühle sitzt ein alter Mann und starrt stur vor sich hin, als würde er auf eine Mitfahrgelegenheit warten oder so was, doch als wir näher kommen, wendet er uns das Gesicht zu, und da denke ich, dass er vielleicht mit offenen Augen geschlafen hat. Hinter der Fliegengittertür dreht sich ein kleiner Ventilator, kippt von einer Seite zur anderen, aber nie lang genug, dass es etwas bringt. Direkt neben der Kasse stehen große Gläser mit Zuckerstangen in allen möglichen Farben. In einem Glas sind nur rote (mag ich am liebsten), in einem anderen nur lilafarbene (mag Emma am liebsten). Insgesamt müssen es zehn Gläser sein. Dahinter kann man alle möglichen Fläschchen sehen wie bei White’s, ansonsten aber gibt es hier ganz andere Sachen: Getreidefässer, Rechen, Mehlsäcke, die eine undichte Stelle haben müssen, weil der Boden aussieht wie mit Zauberstaub bedeckt. Ich kann nicht sehen, was sich hinten im Laden befindet, weil es zu dunkel ist, aber ich könnte wetten, dass er dort kühler ist als hier vorne, wo die Sonne direkt auf uns durch die Tür knallt.
    Als Emma meine Hand packt, tue ich so, als würde ich es nicht bemerken. Sie ist nämlich ziemlich stolz und würde sich sofort losmachen, wenn ich die Angst in ihrem Gesicht sehen würde.
    “Nun, was kann ich für Sie heute denn tun?” fragt der Mann hinter der Theke. Er könnte ein Zwillingsbruder von dem alten Mann im Schaukelstuhl sein, nur dass die Träger
seines
Overalls richtig sitzen und sein Hemd sauberer aussieht. Außerdem ist sein Haar gekämmt und nicht ganz so grau.
    Miss Mary betrachtet den Tisch mit den Kochbüchern und zuckt zusammen, als sie seine Stimme hört. Sie hat gerade in einem Buch mit dem Titel “Ein Himmel für Naschkatzen” gelesen.
    “Sie wollen liebend gern die Schachtel sehen”. Miss Mary schaut zu Emma und mir und spricht “die Schachtel” so leise aus, als würde es sich um ein Geheimnis zwischen den beiden handeln.
    Der Mann nickt wie der Prediger sonntags in der Kirche, wenn die Leute aufstehen und laut vor allen Leuten ihre Sünden beichten. So ein Nicken, das andeutet, dass er sowieso gewusst hat, dass sie sündigen würden.
    “Verstehe. Und wie alt bist du, junge Dame?” fragt er mich.
    “Ich bin acht und meine Schwester ist sechs, aber sie ist mutig, und wir wollen das jetzt sehen.”
    Der Mann wirft Miss Mary einen Blick zu, die ihm etwas zuflüstert, was klingt, als ob sie sich für Emma einsetzen würde, die viel jünger als sechs aussieht.

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