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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Flock
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Reiter. Forsyth wieherte, ich kämmte ihr Haar wie eine Mähne und hielt ihr ein unsichtbares Stück Zucker hin. Forsyth hörte die Schüsse, sie fragte mich, was das sei, und ich war so dumm zu glauben, das wäre nur ein Auspuff gewesen, weil ich weiterspielen wollte. Aber dann rief Forsyths Mama sie nach Hause. Bei der Beerdigung stand sie zwischen ihren Eltern und sah über mich hinweg in den Himmel, als würden sie die Vögel dort viel mehr interessieren als ich. Ich hatte das Gefühl, dass ich und Forsyth Phillips keine Freundinnen mehr wären. Mama sagte, Mrs. Phillips erlaubte es nicht länger, dass Forsyth zu uns ins Haus kam, aber wir blieben trotzdem Freundinnen, weil wir bei ihr spielen durften.
    Der ganze Flur war voller Blut. Ich hab das nicht gesehen, aber auf jeden Fall ist es gut, dass wir keinen Teppichboden hatten, denn den hätten wir nie wieder sauber bekommen. Vor und nach der Beerdigung kamen ganz viele Leute ins Haus, sie räumten auf, brachten Essen vorbei, und alle sahen mich immer ganz traurig an, was mir peinlich war. Deswegen rannte ich immer in unser Zimmer, um Emma ein bisschen aufzuheitern. Ich hörte sie trotzdem, sie flüsterten “arme Caroline” und wie gut ich mich “unter diesen Umständen” halten würde. Niemand traute sich, von Emma zu sprechen, bestimmt wussten sie, dass Mama dann nur noch mehr weinen würde. Aber um ehrlich zu sein, ich machte mir um Emma viel mehr Sorgen. Und um Mama.
    Mama weinte an den ersten Tagen so heftig, dass die Wand hinter ihrem Bett wackelte. Auch wenn ich einen Stock höher lag, so stand mein Bett doch an derselben Wand. Ich lag also einfach nur da und spürte, wie meine Mama litt. Wieder und wieder. Vor allem morgens. So wie man an Weihnachten aufwacht und weiß, dass etwas Besonderes geschehen wird und erst ein oder zwei Sekunden später wieder weiß, was. Nur andersrum. Ich hörte, wie sie sich im Bett wälzte, als wachte sie auf und versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, und dann begann die Wand zu wackeln, als es ihr wieder einfiel. Jeden Tag war das so. Jeden einzelnen Tag. Emma wachte von dem Wackeln der Wand nicht auf so wie ich. Und wenn sie dann endlich wach wurde, schielte sie nur zur Decke. Ich schmiegte mich an sie, damit sie nur zu flüstern brauchte, falls sie doch etwas sagen wollte. Dann würde Mama sie nicht hören und nicht daran denken, wie Daddy gestorben war. Aber es stellte sich heraus, dass das nicht nötig war, denn Emma sprach sehr lange überhaupt nichts.
    Ich denke, Mama aß nachts, wenn wir im Bett waren. Manchmal hinterließ sie Spuren wie ein Stück Verpackung oder das braune Papier, in dem vorher rohes Fleisch eingewickelt gewesen war. Und Dosen. Immer wieder Dosen. Sie und Daddy hatten palettenweise Dosen eingekauft, und das war nun ziemlich praktisch, nachdem Mama gar nicht mehr zum Einkaufen ging. Aber ich sah sie nie aus ihrem Zimmer kommen. Nicht ein einziges Mal. Sie kam nicht mal raus, um uns in die Schule zu schicken. Und ich konnte Emma nicht allein lassen – sie war doch nur ein kleines Mädchen! – also schwänzte ich die Schule. Zuerst war das toll. Ich sah auf die Gänseblümchenplastikuhr in der Küche und überlegte, was meine Schulkameraden gerade machten. Wie wunderbar, dass ich keine Hausaufgaben vorzeigen oder die Tafel wischen musste oder so was. Am liebsten mag ich Erdkunde. Die meisten Kinder würden wohl sagen, dass die Pausen das Beste sind, aber ich hasse die Pausen. Immer treffen mich Bälle, als wäre ich ein Magnet und würde sie anziehen. Das weiß auch jeder. Sie zielen nicht mal mehr … sie spielen einfach weiter, wenn ich komme, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Ball gegen meinen Kopf oder meinen Rücken knallt. Zuerst tat ich so, als ob ich das genauso lustig fände wie sie, aber das funktioniert nicht. Dann tat ich so, als hätte ich den Ball gesehen und würde mich absichtlich treffen lassen, aber das funktionierte ebenfalls nicht. Dann ließ ich es bleiben und erschrak einfach jedes Mal, wenn der Ball nur in meine Nähe kam.
    Also, die Pausen fehlen mir nicht. Kein bisschen.
    Seit Mama ihr Zimmer nicht mehr verließ, stapelten sich unsere Kleider, wo auch immer Emma und ich sie auszogen. Den Stapel vor der Treppe mochte ich besonders, weil ich von der dritten Stufe aus draufspringen konnte wie auf ein großes Kissen. Emma hat mir das mal nachgemacht und fiel auf den Hintern, aber da waren so viele Klamotten, dass sie sich nicht wehgetan hat. Sie lächelte

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