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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Flock
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aber auch nicht. Als sie vergaß, wie man sprach, vergaß sie auch, wie man lächelte.
    Eines Tages saß Mama am Küchentisch, als wir nach unten kamen. Einfach so. Als wäre es das Normalste der Welt. Ich roch schon von der Treppe aus den Zigarettenqualm und rannte das letzte Stück, weil ich hoffte, dass es wirklich sie war.
    “Mama?”
    Sie sah nicht hoch, richtete sich aber ein wenig auf und hob den Kopf, also war sie wach.
    Ich umarmte sie, und obwohl sie sich nicht rührte, wusste ich, dass sie sich freute, mich zu sehen. Zumindest glaubte ich das.
    Mamas Augen sahen aus wie Kürbisse an Halloween – ganz leer und hohl und dunkel. Ich zeigte nicht, dass ich mich fürchtete.
    “Soll ich dir Frühstück machen?” Dabei war mir klar, dass sie das, was wir noch hatten, nicht mochte.
    Sie fixierte mich mit ihren Kürbisaugen, dann betrachtete sie jeden Zentimeter der Küche, als wäre sie zum ersten Mal hier.
    “Ich frage mich, wie du das anstellen willst”, waren ihre ersten Worte nach ich weiß nicht wie langer Zeit. Die Worte kamen sehr langsam, als würde sie gerade sprechen lernen.
    “Das kann ich, schau nur zu.” Vielleicht mochte sie mein Frühstück. Es war leicht. Ich schüttete Mehl in eine Schale, die ich eigentlich schon vor Tagen hätte spülen müssen. Dann hielt ich die Schale unter den Wasserhahn, zählte bis fünf, verrührte das Ganze zu einer Paste. Die Pfanne stand noch von gestern auf dem Herd, ich musste nur ein wenig reintropfen lassen und zuschauen, wie daraus ein großer Pfannkuchen wurde, der unsere Mägen erst mal füllen konnte.
    Ich warf Mama heimlich einen Blick zu, nur um zu sehen, dass sie wirklich dasaß, in Fleisch und Blut. Das hätte ich mal besser nicht getan, weil ich es furchtbar finde, sie weinen zu sehen. Sie weinen zu fühlen, ist eine Sache, es wirklich zu sehen, eine ganz andere.
    Ich weine nie wegen Daddy. Vielleicht hat Mama für uns alle drei genug geweint.
    “Also, wir machen’s so.” Ich übernehme die Führung, weil wir einen Platz zum Schlafen brauchen. “Wir müssen eine kleine Höhle oder so was finden, damit wir uns verstecken und ein wenig schlafen können.”
    “Es ist noch nicht mal annähernd dunkel!”
    “Ja, aber wenn wir hier tagsüber durch die Gegend laufen, wird man uns finden.” Keine Ahnung, wie ich darauf komme, ich schwör’s. Aber an Daddy zu denken, hat mich nur noch mehr davon überzeugt, dass wir nie mehr zu Richard zurückkehren dürfen. “Nachts müssen wir weitergehen.”
    Emma hebt die Schultern und folgt mir. “Erzähl mir noch mehr von Daddy”, sagt sie.
    “Bist du taub? Wir müssen uns nach einem Versteck umsehen! Das hier ist kein Picknick, Em”, sage ich. Mein Herz tut weh wie immer, wenn mich etwas an Daddy erinnert.
    Der Picknicktag war Daddys Erfindung. Das war ungefähr genauso schön, als ob der Lehrer sagt, dass der Unterricht draußen unter den Bäumen stattfindet, weil es der erste warme, sonnige Tag nach einem kalten Winter ist. Picknicktag ist so toll wie die Schale eines Apfels in einem einzigen gewellten Stück zu schälen. Mama machte schon am Tag vorher Brathähnchen und packte den Picknickkorb. Genau wie im Märchen hatten wir eine rot-weiß-karierte Tischdecke, die Mama zu einem perfekten Viereck zusammenfaltete und als erstes einpackte. Daddys Kartoffelsalat wurde in die Kühlbox gelegt, während ich schon das Husten übte, damit die Lehrer in der Schule bemerkten, dass ich “etwas ausbrütete.” Das war mein Part. Mama und Daddy sagten zwar, ich solle das nicht tun, aber für mich gehörte es dazu.
    Das war der einzige Tag im Jahr, an dem ich die Schule schwänzte. Wir fuhren ans Meer und lagen herum und aßen Mamas Hühnchen und Daddys Kartoffelsalat.
    Nach Mamas und Richards Hochzeit, setzte Mama sich in den Kopf, diesen Picknicktag fortzuführen. Sie begann, das Hähnchen zu braten und machte sogar Krautsalat (anstelle von Daddys Kartoffelsalat), doch als sie den Korb aus dem Keller holte, fragte ich sie, wozu. Danach versuchte sie es nie mehr. Der Picknicktag starb zusammen mit Daddy.
    “Komm her!” Emma beugt sich über etwas und winkt mich herbei, als ob ich taub wäre oder so was.
    “Was?” Endlich bin ich bei ihr. Ich laufe viel langsamer als sie.
    “Das ist perfekt”, sagt sie. “Wir können uns nebeneinander hinlegen und mit Kiefernnadeln zudecken. Dann wird uns niemand sehen.”
    “Ich weiß nicht, Em.” Ich will sie nicht beleidigen, aber ich hatte mir etwas anderes

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