Ich & Emma
“Ich mach hier schön sauber Mama, warte nur ab.”
“Ja, dann sieht es aus wie neu”, fügt Emma hinzu.
Mama blinzelt nicht mal.
“Gib mir deinen Karton und schau dich oben um”, sage ich, nachdem ich meinen eigenen abgestellt habe. Doch als ich ihn ihr aus der Hand nehmen will, schaut sie noch immer ganz teilnahmslos, krallt sich aber in den Karton wie an einen Rettungsring.
“Na gut.” Ich nehme Emmas Hand, damit sie weiß, dass wir Mama jetzt besser aus dem Weg gehen sollten. “Sind gleich zurück.”
Auch die Stufen haben Löcher, es ist gar nicht leicht, nach oben zu kommen. Wir laufen an der äußersten Seite und stützen uns an der Wand ab. Ich drehe meinen Kopf weg, damit keine Spinnenweben oder Schlimmeres in meine Nase kommen, in meinen Mund, während ich mich an der Wand festhalte. Wegen der schmutzigen Fenster ist das Licht nicht gut, und es ist wirklich nicht leicht, ohne Treppengeländer in den zweiten Stock zu kommen. Oben angekommen entdecke ich zwei Öffnungen, die so aussehen, als ob es dort einmal Türen gegeben hätte. Als ich näher komme, kann ich auch genau sehen, wo die Türen aus den Scharnieren gebrochen worden sind. Das rechte Zimmer ist groß und quadratisch mit einem Fenster, vor dem ein Fetzen Stoff hängt. Das linke Zimmer ist winzig wie ein Nähzimmer, und sofort weiß ich, dass das unser neues Nest wird. Emma auch, denn sie läuft schnurstracks hinein und breitet die Arme aus, um Maß zu nehmen. Wenn wir Glück haben, passt unsere alte Matratze hier rein. Das wird gemütlich. Es gibt ein klitzekleines Fenster über unseren Köpfen – sobald das erst mal geputzt ist, haben wir auch Licht, kein Problem.
Ins andere Zimmer werden Mama und Richard ziehen, mehr gibt es nicht, und so gehen wir wieder nach unten.
Mama steht noch immer im Wohnzimmer, wir gehen um sie herum nach draußen zum Auto, um weitere Sachen zu holen. Richards Stapel wächst bereits, wir sollten uns also besser beeilen.
Bei jedem Weg hin und zurück registriere ich etwas Neues, das mir vorher nicht aufgefallen ist. Dass beispielsweise an den Wänden im Wohnzimmer (in dem Mama Wurzeln geschlagen hat) noch immer Reste einer ausgeblichenen Rosentapete kleben. Und dass der zurückgelassene Tisch vermutlich zurückgelassen wurde, weil er nicht durch die Eingangstür passt. Richard meint, der wäre wahrscheinlich im Haus selbst geschreinert worden. An der gegenüberliegenden Wand im Wohnzimmer gibt es einen Kamin aus glatten Steinen, die laut Richard aus dem Fluss stammen – das Wasser hat sie poliert. Die Steine sind so groß, dass der Fluss für seine Arbeit Jahre gebraucht haben muss. Sie passen perfekt über- und nebeneinander. “Bewegst du nun deinen Arsch oder muss ich das für dich tun?” Richard spuckt auf den Boden und kneift Mama fest in den Hintern.
Mama bleibt auch den Rest des Tages schweigsam. Sie hat einfach ihren Karton dort abgestellt, wo sie stand, und begonnen, zu putzen. Ich habe es doch gewusst. Sie reicht mir und Emma einen Eimer und sagt, wir sollen uns auf die Suche nach Wasser machen. Wir fragen erst gar nicht, wo, sie weiß es ja auch nicht.
“Wie wäre es dort?” Emma zeigt links um das Haus herum.
An dem herabhängenden Dach vorbei führt ein Trampelpfad, also sind wir nicht die Ersten, die diesen Weg nehmen, und irgendwie geht es mir bei der Vorstellung gleich besser.
“Was meinst du, wer hier vorher gewohnt und das Haus so hat zerfallen lassen?” fragt Emma.
“Woher soll ich das wissen?”
“Ich frage ja nur.”
“Wahrscheinlich alte Leute, die die Arbeit einfach nicht mehr machen konnten.”
Wir laufen hintereinander, weil der Weg nicht breit genug ist, um Seite an Seite zu gehen. Emma schiebt Zweige und Blätter aus dem Weg. Wir schauen nicht nach vorne, weil wir den Boden ja noch nicht kennen, jederzeit könnten wir über eine Wurzel oder einen Stein stolpern. Also setzen wir sehr vorsichtig einen Fuß vor den anderen und sind langsamer als eine Schnecke.
“Meinst du, wir bekommen einen Hund?” Emma hüpft über einen mit Moos bewachsenen Ast.
“Das wäre toll.” Die Steine sind groß genug, dass man sich den Knöchel verstauchen kann.
Das Geräusch von Wasser wird lauter und lauter. Es dauert nicht mehr lang, bis die Steine feucht glänzen.
“Wir haben unseren eigenen Fluss!” ruft Emma. “Sieh nur!”
Damit hat sie Recht – es gibt niemanden außer uns, der darauf Anspruch erheben könnte. “Wir sollten ihm gleich einen Namen geben”,
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