Ich & Emma
seufzt und umarmt wieder ihre Knie. “Nicht in einer Million Jahre.”
“Wird sie wohl.”
“Werden wir ja sehen.”
Wir bleiben an dem Bach, bis man fast nichts mehr sieht und es höchste Zeit ist, nach Hause zu gehen. Es tut gut, aufzustehen und sich zu strecken – mein Hintern tut weh, weil ich so lange auf dem harten Stein gesessen habe.
“Gut, Folgendes werden wir tun”, sage ich über meine Schulter, weil Emma hinter mir geht. “Ich gehe zuerst rein und schaue, wo er ist, und wenn die Luft rein ist, pfeife ich, dann kannst du kommen. Wenn ich nicht pfeife, komm nicht rein, dann verschwinde ich schnell durch die Hintertür. Dort treffen wir uns dann und gehen zurück zum Bach. Kapiert?”
“Ja, gut”, flüstert sie. “Es tut aber ziemlich weh, zu stehen.”
“Sobald wir am Haus sind, kannst du dich hinlegen.”
“Mir ist schwindlig.”
“Ich weiß.” Und ich weiß es wirklich. Mir ist auch immer schwindlig, wenn ich geschlagen werde, aber wenn ich dann kurz geschlafen habe, ist es wieder besser.
“Ich kann nicht mehr”, sagt sie.
“Hör auf zu jammern und beeil dich. Wir sind doch fast da.”
Nach einer Tracht Prügel jammere ich nicht halb so viel wie Emma heute. Normalerweise ist sie auch nicht so, aber heute scheint es besonders schlimm zu sein.
“Vergiss nicht, auf mein Pfeifen zu warten.” Ich hoffe, sie kann mich hören, inzwischen ist sie ziemlich weit hinter mir.
Kurz bevor ich bei der Hintertür ankomme, drossle ich das Tempo. Ich versuche herauszufinden, wer im Haus ist, aber ich höre keinen Ton. Noch ein paar Schritte und ich kann schnell zum Fenster rennen und einen Blick reinwerfen. Eins. Zwei. Drei … ich stehe unter dem Küchenfenster. Ich habe nicht bedacht, dass ich nicht an das Fenster heranreiche, ich muss mich auf einen großen Stein stellen. So. Perfekt. Das Fensterbrett ist so schmutzig, dass meine Finger zuerst abrutschen. Vorsichtig strecke ich meinen Kopf nach oben.
Ich sehe den Tisch mit den glatten Metallkanten, in der Mitte steht Mamas Aschenbecher, und direkt vor meiner Nase summen Fliegen um das gestapelte, schmutzige Geschirr. Ich glaube, Mama wartet noch auf Seifenstücke für die Dose, denn die Teller stehen da schon ein paar Tage. Die Fliegen sausen von einem zum anderen und futtern sich voll. Die größeren sind die, die auch stechen und rote Pusteln auf meiner Haut hinterlassen.
Komisch, das Licht ist an, aber niemand ist in der Küche. Mama ermahnt uns immer, das Licht auszumachen – halt! Da ist sie. Sie kommt direkt auf mich zu, ich ducke mich. Ich höre ein Klirren, nachdem es wieder still geworden ist, ziehe ich mich langsam hoch, um zu sehen, was los ist.
Mama hat sich auf einen Stuhl gesetzt und eine Zigarette angezündet. Sie inhaliert tief und bläst den Rauch zur Decke. Gerade will ich mich umdrehen und pfeifen, damit Emma weiß, dass die Luft rein ist, doch da höre ich die Dielen unter Richards Gewicht knarren. Jetzt steht er im Türrahmen, nimmt einen Schluck aus seiner Flasche.
“Nur weiter so”, sagt Mama. Ich kann ihre Stimme ganz klar hören.
Richard blickt über Mamas Kopf hinweg, und ich fürchte schon, dass er mich entdeckt hat, doch dann merke ich, dass er zum Spülbecken schaut.
“Wann benimmst du dich endlich wie eine richtige Frau und machst sauber?” Beim Sprechen kräuselt sich seine Oberlippe fast bis zur Nase.
Mama sagt etwas, das ich nicht verstehe, weil sie dabei an ihrer Zigarette zieht.
“Was?” Richard wirft einen Blick auf sie, wie sie mit dem Kopf in den Händen vergraben da sitzt, die Zigarette zwischen Zeige- und Ringfinger der rechten Hand.
“Wird Zeit, dass du mal das Loch im Dach reparierst”, sagt sie und hebt den Kopf.
“Sei froh, dass ich jetzt verabredet bin, sonst hättest du gleich ein Loch im Kopf so groß wie meine Faust.” Er setzt die Flasche an die Lippen, trinkt sie aus und wirft sie Richtung Spüle … in meine Richtung. Sie knallt auf den Tellerstapel, kleine Glasscherben fliegen gegen die Fensterscheibe. Ich ducke mich wieder für alle Fälle, presse die Augen zusammen und sehe das Bild von Mama vor mir, wie sie am Küchentisch raucht. Sie zuckte nicht mal zusammen, als er die Flasche quer durch den Raum warf. Oder als sie die Spüle traf.
Die Haustür wird zugeknallt. Die Mauer, an der ich lehne, erzittert. Wenigstens ist jetzt die Luft rein. Sein Pick-up röhrt und fährt weg.
Ich wende mich um und pfeife, aber die Büsche bewegen sich nicht, also pfeife ich noch
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