Ich & Emma
Emma.
“Woher soll ich das wissen?”
Emma zupft weiter. “Meinst du, sie mag uns wenigstens ein bisschen?”
Ich zucke mit den Schultern, da ich wirklich nicht die geringste Ahnung habe.
Als der Eimer voll ist, gehen wir zurück zum Haus. Kurz bevor wir die Hintertür erreichen, die in die Küche führt, sehe ich, dass mein Schuh offen ist. Ich setze den Eimer ab und binde ihn wieder zu, damit Tante Lillibit nicht wieder sagen kann, wie schlampig ich bin. Und da höre ich sie.
“Warte!” zische ich Emma zu, die gerade die Tür öffnen will. Sie schleicht zurück und dreht den Kopf so, dass sie besser lauschen kann.
“Ich habe ihr immer wieder alles Mögliche gesagt”, ertönt Omas Stimme. “Aber sie ist ein Dickschädel. Das habe ich von der Sekunde an gewusst, in der sie aus meinem Bauch gezogen wurde – dieses störrische Kind wollte einfach nicht freiwillig rauskommen!”
“Mit Henry hat sie ständig Theater wegen anderer Frauen gehabt”, sagt Tante Lillibit. “Und jetzt mit Richard rennt sie Tag für Tag gegen eine Wand.”
“Ich weiß.”
“Im Ort erzählt man sich, dass er was aus der Kasse bei Annie’s oder Auntie’s oder wie immer der Laden heißt geklaut hat.”
“Antone’s?” flüstere ich Emma zu, die ihren Kopf noch höher reckt, um besser hören zu können. Die nächsten Worte verstehe ich nicht, doch dann reden sie wieder lauter.
“Woher soll ich das wissen?” fragt Tante Lillibit. “Wahrscheinlich hat er sich mit einem großen Sack davongemacht, jedenfalls sind die Leute hier stinksauer. Deswegen hat er seinen Job verloren, oder vielleicht nicht?”
Ich und Emma starren uns nur an wie Comicfiguren, denen gerade etwas auf den Kopf gehauen wurde, und die immer erst große Augen bekommen, bevor sie umfallen.
“Da fällt mir ein, ich habe Nellie Lamott vor ein paar Tagen in Toast getroffen, und sie sagte, dass Selma Blake sich nach Libby erkundigt hat. Und zwar ein wenig zu ausführlich, sagte Nellie. Selma ist so ein richtiger Streithammel, macht immer Ärger. Weiß nie, wann es genug ist. Sie hat also jeden in der Stadt nach Libby gefragt. Die hat Nerven. Sollte sich mehr um ihren nichtsnutzigen Ehemann kümmern, der ja nach diesem Drama sowieso keinen Job mehr bekommt, und weniger über Lib und Dinge, die sie nichts angehen, quatschen.”
“Ich weiß.”
“Wenn du mich fragst, ist Libby jetzt besser dran”, sagt Tante Lillibit.
“Mit dem Kerl, bist du verrückt?”
“Dieser Henry war Libby nie treu. Das wusste jeder. Sogar Libby. So wie der ständig herumgelungert hat. Dieser jetzt, gut, der ist jähzornig. Aber zeig mir einen Mann, der nicht jähzornig ist, das wäre ein wahres Wunder. Sieh dir Daddy an. Er war cholerisch, na ja, aber er hatte einen Job und alles. Und er hat sich nicht jeden Abend besinnungslos besoffen.”
“Das stimmt. Dein Daddy hat immer für ein Dach über unseren Köpfen gesorgt, egal, wie schlimm die Zeiten waren. Manchmal hatten wir nicht mal ein Stück Papier, um daran zu saugen, aber dein Daddy hat das Land behalten. Ihr Mädchen habt vielleicht ab und zu den Gürtel zu spüren bekommen, vor allem deine Schwester war stur wie ein Esel. Du hingegen, nun …”
Ihre Stimmen werden so leise, dass wir nichts mehr verstehen.
“Carrie!” höre ich Emma rufen. “Wohin gehst du? Carrie! Warte!”
Aber ich bin schon weg. Springe über den umgestürzten Baum. Durchquere den Bach. Klettere einen steilen Felsen hinauf. Nur weg. Wo ich sie nicht mehr reden hören kann.
“Ich bin jetzt bereit, ins Zebulon’s zu gehen.” Ich hechle schlimmer als Brownie.
“Wie bitte?” Mr. Wilson blickt von dem Stromkabel auf, an dem er sich gerade zu schaffen macht.
“Ich bin bereit, ins Zebulon’s zu gehen”, sage ich noch einmal deutlicher, als ich wieder zu Atem komme. “Können wir das heute machen?”
Mr. Wilson schnalzt mit der Zunge, schüttelt den Kopf, und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen kann, weil es ja über das Kabel gebeugt ist, weiß ich, dass er nicht gerade freundlich schaut.
“Erstens ist noch nicht Abend, wenn ich mich nicht irre. Und zweitens, seit wann hat mir ein fünfjähriges Kind zu sagen, was ich zu tun habe.”
“Ich bin
acht!”
“Wie auch immer. Auch keine Achtjährige kann nicht einfach hierher kommen und mir sagen, was ich zu tun habe, statt mich ganz nett zu bitten.”
“Tut mir Leid.” Ich lächle in der Hoffnung, ihn noch umstimmen zu können. “Mr. Wilson, würden Sie mich bitte, bitte ins
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