Ich & Emma
kannst du nicht haben. Das können Leute wie wir nicht haben. Das Leben ist hart. So ist es nun mal. Aber du willst das ja nicht einsehen. Du willst ein schöneres Leben? Das wird es nicht geben. Hörst du? Das wird es niemals geben …”
Obwohl Oma noch nicht fertig ist, schreit Mama los: “Raus aus meinem Haus! Verschwinde! Was fällt Dir eigentlich ein?”
“Falls es dir nicht aufgefallen ist”, Oma geht langsam auf Mama zu. “Das ist nicht länger dein Haus. Ihr habt es von der Fabrik zur Verfügung gestellt bekommen, die deinen Mann rausgeworfen hat. Was erwartest du? Dass die sagen: ‘Ach, bleiben Sie ruhig, solange Sie wollen?’ Wenn du ein Problem hast, klär’ das mit deinem Mann. Und erhebe nicht die Stimme gegenüber deiner eigenen Mutter. Ich bin hierher gekommen, um so gut es geht, zu helfen. Doch alles, was ich hier erlebe sind schlechte Laune und Tränen. Ich sehe die Prellungen, das Blut. Noch habe ich gute Augen, dem Herrn sei Dank.
Ich
habe wenigstens dafür gesorgt, dass meinen Kindern nichts passiert.” Ich schätze, jetzt ist sie fertig.
“Raus.” Mama spuckt das Wort regelrecht aus. “Sofort. Ich werde Richard suchen gehen, und wenn ich zurückkomme, möchte ich euch hier nicht mehr sehen.”
“Du wirfst dein eigenes Fleisch und Blut vor die Tür?” Tante Lillibits Augen sind so groß wie Teller.
“Ihr habt mich verstanden.”
“Schon gut, Lillibit”, sagt Oma. “Wir bleiben nicht, wenn wir nicht willkommen sind.”
Mama schleudert ihr Haar zurück, stürmt aus der Küche ins Wohnzimmer und an mir vorbei. Sie scheint mich nicht zu sehen, läuft einfach mit hoch erhobenem Kopf weiter und verlässt das Haus Nummer zweiundzwanzig.
Die Fliegengittertür knallt zu. In der Küche trocknet Oma das Geschirr ab, das sie gerade gespült hat, und stapelt es vorsichtig übereinander. Dann räumt sie es in den Küchenschrank, was sonst so gut wie nie passiert, weil wir es immerzu benutzen und selten wegstellen.
“Ich packe dann meine Sachen”, sagt Tante Lillibit zu niemand Bestimmten.
Oma weiß nicht, dass ich sie dabei beobachte, wie sie die Hände an der Schürze abtrocknet und dann nebeneinander auf die Spüle legt und aus dem Fenster in den Wald blickt, der zum Diamantenfluss führt.
Sie steht ganz starr, es kommt mir wie Stunden vor. Als sie sich umdreht und mich ansieht, wird mir klar, dass sie die ganze Zeit wusste, dass ich da bin.
“Tja”, sagt sie. “Ich schätze, wir haben noch eine Menge zu tun.” Als sie an mir vorbeigeht, legt sie kurz eine Hand auf meinen Kopf, und ich sehe, dass sie Tränen in den Augen hat.
Im Wohnzimmer legt Tante Lillibit ihre Kleider zusammen und stapelt sie übereinander, wie Oma das Geschirr vorhin. Omas Koffer liegt auf der Matratze, den Rachen weit aufgerissen, um ihr Leben wieder zu verschlingen und sie von hier verschwinden zu lassen.
“Steh nicht einfach so rum, hol unsere Wäsche von der Leine, ja?” ruft Tante Lillibit. Ich gehorche, weil es jetzt das Falscheste wäre, sie noch mehr gegen die Familie Parker aufzubringen.
Blusen, Hosen und Unterwäsche hängen auf der Leine wie traurige Gespenster. Ein Stück nach dem anderen schnalzt in meine Hand, glücklich darüber, wie ich vermute, dass sie an einem anderen Ort, weit entfernt von diesem dunklen Wald, getragen werden. Ich halte sie unter die Nase und schnuppere angestrengt, so wie ich es mit dem Stück Teppich tue, das Daddy zurückgelassen hat, aber sie riechen nicht nach Tante Lillibit und Oma, sondern einfach nach Waschmittel.
“Trödel nicht rum, Kind”, ruft Oma durch die Küchentür. “Wir warten auf dich.”
“Geht ihr wirklich?” frage ich auf meinem Weg zurück ins Haus.
“Ja, wir gehen.” Sie nimmt die Gespenster von meinem Arm und schüttelt sie aus. “Hier, halt’ das andere Ende vom Leintuch, damit wir es zusammenlegen können. Deine Mutter soll nicht behaupten können, dass wir ein Chaos hinterlassen haben.”
Ich gehe ein paar Schritte zurück, das Leintuch zwischen uns spannt sich. Wie Tanzpartner gehen wir aufeinander zu und entfernen uns wieder, bis wir ein hübsches kleines Quadrat gefaltet haben.
“Mama hat das nicht so gemeint”, sagt Emma. Sie steht am Fuß der Treppe, wo sie sich wohl versteckt und den Streit beobachtet hat, so wie ich.
“Bring mir meine Haarbürste, ja? Die liegt da drüben”, bittet Tante Lillibit Emma. “Schnell, wir müssen uns beeilen.”
“Sie hat es doch nicht so gemeint.” Emma reicht ihr die
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