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Ich finde dich

Ich finde dich

Titel: Ich finde dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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Schluchzen durch die blendend weiße Kapelle. Der Geistliche trat wieder in die Kanzel und forderte die Trauergäste mit einer universell verständlichen Geste auf, sich zu erheben. Als die Gemeinde aufstand, nutzte ich die kurze Unruhe und verließ die Kapelle. Ich ging den Weg zurück bis zur Fächerpalme und lehnte mich auf der von der Kapelle abgewandten Seite an den Stamm.
    »Geht’s Ihnen nicht gut?«
    Ich drehte mich um und sah die Bardame vor mir. »Doch, alles in Ordnung, danke.«
    »Toller Mann, der Doc.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Standen Sie ihm nahe?«
    Ich antwortete nicht. Ein paar Minuten später wurde die Tür der Kapelle geöffnet. Der Sarg wurde in die gleißende Sonne gerollt. Als er sich dem Leichenwagen näherte, stellten die Sargträger, zu denen auch Todds Sohn Eric gehörte, sich um ihn herum auf. Ihm folgte eine Frau mit einem großen, schwarzen Hut. Sie hatte ihren Arm um ein Mädchen von etwa vierzehn Jahren gelegt. Neben der Frau stand ein großer Mann und stützte sie. Der Mann hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Todd. Ich nahm an, dass es sein Bruder und seine Schwester waren, aber das war nur geraten. Die Träger hoben den Sarg an und schoben ihn in den Leichenwagen. Die Frau mit dem schwarzen Hut und das Mädchen wurden zum ersten Wagen geleitet. Der vermeintliche Bruder öffnete ihnen die Tür und stieg nach ihnen ein. Dann folgte Eric. Ich betrachtete den Rest der Trauergemeinde, der aus der Kapelle strömte.
    Natalie war immer noch nicht zu sehen.
    Ich dachte mir nichts dabei. Manchmal kam die Ehefrau als Erste aus der Kirche, direkt hinter dem Sarg, manchmal legte sie sogar die Hand darauf, und manchmal kam sie als Letzte, weil sie wartete, bis die Kirche leer war, und erst dann den Gang entlangschritt. Ich weiß noch, dass meine Mutter beim Begräbnis meines Vaters mit niemandem reden wollte. Sie war sogar durch einen Seiteneingang verschwunden, um dem Gedränge der Verwandten und Freunde zu entgehen.
    Ich beobachtete, wie die Trauernden aus der Kapelle kamen. Ihr Kummer war, wie die Südstaaten-Hitze, zu einem lebendigen, atmenden Etwas geworden. Er war greifbar und aufrichtig. Diese Menschen waren nicht nur aus Höflichkeit gekommen. Dieser Mann hatte ihnen etwas bedeutet. Sein Tod hatte sie erschüttert – aber was hatte ich auch erwartet? War ich davon ausgegangen, dass Natalie mich für einen Loser verlassen hatte? War es nicht besser, gegen diesen geliebten Heiler verloren zu haben als gegen einen zwielichtigen Schwachkopf?
    Gute Frage.
    Die Bardame stand immer noch neben mir. »Woran ist er gestorben?«, flüsterte ich.
    »Das wissen Sie nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. Schweigen. Ich sah sie an.
    »Ermordet«, sagte sie.
    Das Wort hing in der schwülen Luft und weigerte sich zu verschwinden. Ich wiederholte es: »Ermordet?«
    »Ja.«
    Ich öffnete den Mund, schloss ihn, setzte noch einmal an. »Von wem?«
    »Er wurde erschossen. Glaube ich wenigstens, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Die Polizei weiß nicht, wer es war. Sie glaubt, es könnte ein missglückter Einbruch gewesen sein. Sie wissen schon, ein Typ, der das Haus ausräumen wollte und nicht wusste, dass jemand da war.«
    Eine gewisse Benommenheit machte sich in mir breit. Der Menschenstrom aus der Kapelle war versiegt. Ich starrte zur Tür und wartete darauf, dass Natalie erschien.
    Das tat sie aber nicht.
    Der Geistliche kam heraus und schloss die Tür hinter sich. Er ging zum Leichenwagen und stieg auf der Beifahrerseite ein. Der Wagen fuhr los, und die Limousine folgte ihm.
    »Gibt es einen Seitenausgang?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Die Kapelle. Hat sie einen Seitenausgang?«
    Sie runzelte die Stirn. »Nein«, sagte sie. »Sie hat nur diese eine Tür.«
    Der Trauerzug hatte sich in Bewegung gesetzt. Wo zum Teufel war Natalie?
    »Wollen Sie nicht mit zum Friedhof?«, fragte die Bardame.
    »Nein«, sagte ich.
    Sie legte mir eine Hand auf den Arm. »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink brauchen.«
    In dem Punkt konnte ich ihr kaum widersprechen. Ich taumelte hinter ihr her in die Bar und sank auf denselben Hocker wie bei meinem ersten Besuch. Sie schenkte mir noch einen Scotch ein. Ich behielt den Trauerzug, die Kapellentür und den kleinen Marktplatz im Auge.
    Keine Natalie.
    »Ich heiße übrigens Tess.«
    »Jake«, sagte ich.
    »Und woher kennen Sie Mr Sanderson?«
    »Wir sind auf dasselbe College gegangen.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Wieso?«
    »Sie sehen jünger aus.«
    »Das bin ich auch. Wir haben

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