Ich finde dich
uns bei einem Ehemaligentreffen kennengelernt.«
»Oh, okay, klingt logisch.«
»Tess?«
»Ja?«
»Kennen Sie Dr. Sandersons Familie?«
»Eric, sein Sohn, ist eine Weile mit meiner Nichte gegangen. Netter Bursche.«
»Wie alt ist er?«
»Sechzehn oder siebzehn. Was für eine Tragödie. Er stand seinem Vater sehr nahe.«
Ich wusste nicht, wie ich das Thema ansprechen sollte, also fragte ich einfach direkt: »Kennen Sie Dr. Sandersons Frau?«
Tess legte den Kopf schief. »Sie nicht?«
»Nein«, log ich. »Ich bin ihr nie begegnet. Dr. Sanderson und ich kannten uns ja nur von den Veranstaltungen am College. Er ist immer alleine dorthin gekommen.«
»Für jemanden, der ihn nur von ein paar Veranstaltungen am College kannte, wirken Sie aber ganz schön mitgenommen.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, also versuchte ich Zeit zu gewinnen, indem ich einen kräftigen Schluck von meinem Whisky nahm. Dann sagte ich: »Es ist nur so, na ja, bei der Trauerfeier eben habe ich sie gar nicht gesehen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Was?«
»Sie haben gerade gesagt, dass Sie ihr nie begegnet sind. Woher wollen Sie dann wissen, ob sie dort war?«
Mann, ich konnte das wirklich nicht gut. »Er hat mir Fotos von ihr gezeigt.«
»Die können aber nicht sehr gut gewesen sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie war doch da. Ist mit Katie zusammen gleich hinter dem Sarg gewesen.«
»Katie?«
»Ihre Tochter. Eric war einer von den Sargträgern. Dann kam Dr. Sandersons Bruder mit Katie und Delia.«
Die drei hatte ich natürlich gesehen. »Delia?«
»Dr. Sandersons Frau.«
In meinem Kopf drehte sich alles. »Ich dachte, sie heißt Natalie?«
Die Bardame verschränkte die Arme und sah mich stirnrunzelnd an. »Natalie? Nein. Sie heißt Delia. Die beiden haben sich auf der Highschool kennengelernt. Sie ist gleich hier um die Ecke aufgewachsen. Sie sind schon ewig verheiratet.«
Ich starrte sie nur an.
»Jake?«
»Was?«, sagte ich.
»Sind Sie sicher, dass Sie auf der richtigen Beerdigung sind?«
VIER
I ch fuhr zurück zum Flughafen und nahm den geplanten Flug nach Hause. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Wahrscheinlich hätte ich am Grab an die Witwe herantreten und sie fragen können, warum ihr geliebter, verstorbener Mann vor sechs Jahren die Liebe meines Lebens geheiratet hatte, das war mir jedoch etwas unpassend erschienen. So viel Feingefühl habe ich dann doch. Mein Ticket war nicht rückerstattbar und mein Gehalt als College-Professor bescheiden, außerdem hatte ich mehrere Seminare und diverse Sprechstundenanmeldungen am folgenden Vormittag. Daher quetschte ich mich missmutig in einen der »Express«-Jets, die für Menschen meiner Größe einfach zu klein waren, zog die Beine an, so dass es mir vorkam, als befänden sich meine Knie praktisch unter meinem Kinn, und flog zurück Richtung Lanford. Ich wohne in einem dieser austauschbaren Campus-Häuser aus verwaschenem Backstein. Die Einrichtung könnte man als »funktional« bezeichnen. Sie war halbwegs sauber und komfortabel und mit einer dieser Sofagarnituren aus Zwei- und Dreisitzern ausgestattet, die in Möbelgroßmärkten entlang der Highways häufig für $ 699 angeboten wurden. Das alles machte wohl eher einen unscheinbaren als regelrecht negativen Eindruck, aber vielleicht rede ich mir auch das nur ein. In der kleinen Küche gab es eine Mikrowelle und einen Grillofen – und sogar einen echten Backofen, den ich allerdings noch nie benutzt hatte –, und die Geschirrspülmaschine ging oft kaputt.
Wie Sie sich sicher denken können, lade ich nicht oft Gäste zu mir nach Hause ein, was nicht heißt, dass ich keine Verabredungen oder sogar richtige Beziehungen habe. Allerdings waren die meisten von ihnen mit einem Verfallsdatum von höchstens drei Monaten versehen. Manche Leute mag die Tatsache, dass Natalie und ich etwas über drei Monate zusammen waren, bedeutsam erscheinen – ich gehöre nicht dazu. Nein, ich verzehre mich nicht vor Gram. Ich weine mich nicht in den Schlaf. Ich bin, so sage ich mir, darüber hinweg. Aber, so abgedroschen das auch klingen mag, ich empfinde doch oft eine gewisse innere Leere. Und – ob es Ihnen gefällt oder nicht – ich denke immer noch jeden Tag an sie.
Und nun?
Der Mann, der die Frau meiner Träume geheiratet hatte, war allem Anschein nach mit einer anderen Frau verheiratet – ganz abgesehen davon, dass er, tja, verstorben war. In anderen Worten: Natalie war nicht beim Begräbnis ihres Ehemanns
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