Ich folge deinem Schatten
ihrem Körper löste. Mit der Kaffeetasse neben sich, zog sie eine Freizeithose, einen Rollkragenpullover und Stiefel mit flachen Absätzen an.
Kurz vor sieben war sie fertig gekleidet. Möglicherweise noch früh genug, um unbehelligt von Reportern das Gebäude verlassen zu können. Daher band sie die Haare schnell zu einem Knoten und wickelte einen Schal darum, kramte daraufhin in einer Schublade, bis sie eine alte Sonnenbrille mit breiten, runden Gläsern gefunden hatte, die ganz anders aussah als jene, die sie sonst trug.
Schließlich griff sie sich eine Kunstfellweste aus dem Schrank, nahm ihre Tasche und fuhr im Aufzug ins Erdgeschoss. Von dort aus ging sie in die Parkgarage, schlängelte sich durch die Reihen der abgestellten Wagen und verließ das Gebäude auf der Rückseite. Mit schnellen Schritten eilte sie den West Side Highway hinunter, wo ihr nur Jogger und Leute begegneten, die ihre Hunde ausführten. Als sie sich sicher war, nicht verfolgt zu werden, hielt sie ein Taxi an und wollte schon die Büroadresse in der East Fifty-eighth Street nennen, überlegte es sich aber kurzerhand anders. Sie sagte dem Fahrer, er solle sie in der East Fifty-seventh Street herauslassen. Wenn dort von Reportern nichts zu sehen ist, kann ich den Lieferanteneingang nehmen, dachte sie.
Erst als sie sich zurücklehnte und wusste, dass sie wenigstens während der Taxifahrt von Kameras oder Reporterfragen verschont bleiben würde, konnte sie sich auf das andere Problem konzentrieren – die Tatsache, dass jemand auf ihren Namen Kleidung und Flugtickets erwarb. Wird das Einfluss auf meine Kreditwürdigkeit haben?, fragte sie sich. Natürlich. Wenn ich von Kevin Wilson den Auftrag bekommen sollte, werde ich aber sehr kostspielige Stoffe und Möbel ordern müssen.
Warum widerfährt mir das alles?
Sie kam sich vor, als befände sie sich mitten in einem Tsunami, als würde eine gewaltige Strömung sie unter Wasser ziehen. Sie rang nach Atem, und ihr war, als würde sie jeden Augenblick keine Luft mehr bekommen.
Panikattacken.
Lass sie nicht mehr zu, flehte sie im Stillen. Sie schloss die Augen und zwang sich dazu, tief und regelmäßig einund wieder auszuatmen. Als das Taxi an der Ecke Fiftyseventh Street und Third Avenue anhielt, hatte sie sich wieder einigermaßen gefangen. Trotzdem zitterten ihre Finger, als sie dem Fahrer die gefalteten Geldscheine reichte.
Es hatte zu nieseln begonnen. Kalte Tropfen strichen ihr über die Wange. Die Weste, erkannte sie, war ein Fehler gewesen. Sie hätte einen Regenmantel anziehen sollen.
Vor ihr scheuchte eine Frau einen kleinen, etwa vierjährigen Jungen zu einem wartenden Wagen. Zan beschleunigte ihre Schritte, um noch einen Blick auf das Gesicht des Jungen erhaschen zu können. Natürlich war er nicht Matthew.
Als sie um die Ecke bog, war von den Medien keine Spur zu sehen. Sie drückte die Drehtür auf und trat in die Lobby. Links befand sich der Zeitungsstand. »Bitte die Post und die News, Sam«, sagte sie zu dem ältlichen Verkäufer.
Er schenkte ihr nicht sein sonst so freundliches Lächeln, als er ihr die zusammengelegten Zeitungen reichte.
Sie wagte es nicht, einen Blick auf die Schlagzeilen zu werfen, bevor sie in ihrem Büro war. Dort legte sie die Zeitungen auf ihren Schreibtisch und schlug sie auf. Auf der Titelseite der Post befand sich ein Bild von ihr, wie sie sich über den Buggy beugte. Auf der Titelseite der News ein Bild von ihr, wie sie Matthew wegtrug.
Fassungslos ging ihr Blick vom einen Bild zum anderen. Aber das bin ich nicht, dachte sie entsetzt. Ich kann es nicht sein. Jemand, der aussieht wie ich, hat sich Matthew genommen … Das ergab doch alles keinen Sinn.
Josh würde erst später kommen. Zan versuchte sich zu konzentrieren, gegen Mittag gab sie es schließlich auf. Sie griff zum Telefon. Ich muss Alvirah anrufen. Ich weiß, sie bekommt jeden Morgen die Post und die Times zugestellt.
Alvirah meldete sich beim zweiten Klingeln. »Zan, ich habe es in den Zeitungen gelesen. Ich war wie vom Donner gerührt. Warum sollte jemand, der aussieht wie du, Matthew entführen?«
Was meinte Alvirah mit der Frage?, ging es Zan durch den Kopf. Fragte sie nach dem Grund, warum sich jemand für mich ausgeben und Matthew kidnappen sollte, oder wollte sie mir damit zu verstehen geben, dass ihrer Meinung nach ich ihn entführt habe?
»Alvirah«, sagte sie und wählte sorgfältig ihre Worte, »irgendjemand tut mir das alles an. Ich weiß nicht, wer, aber ich habe so
Weitere Kostenlose Bücher