Ich folge deinem Schatten
Anwältin geworden.«
47
Um elf Uhr checkte Toby Grissom aus dem Cheap and Cozy Motel an der Lower East Side aus, wo er die Nacht verbracht hatte, und machte sich auf den Weg zur Forty-second Street, wo es einen Bus zum Flughafen LaGuardia gab. Seine Maschine ging erst um siebzehn Uhr, aber er musste sein Motelzimmer räumen und wollte sowieso nicht länger bleiben.
Es war kalt, aber sonnig und klar, genau der Tag, an dem er sonst gern längere Spaziergänge unternahm. Seit den Chemotherapien war das natürlich schwierig geworden. Sie erschöpften ihn, und mittlerweile war er an dem Punkt, an dem er überlegte, ob er sich ihnen überhaupt noch unterziehen sollte, wenn sie doch nur die Schmerzen linderten, ansonsten aber nichts bewirkten.
Vielleicht könnte mir der Arzt einfach ein paar Tabletten verschreiben, damit ich nicht immer so müde bin, dachte er, als er mühsam die Avenue B hinaufstapfte. Er sah auf seine Leinwandtasche, um sich zu vergewissern, dass er sie nicht vergessen hatte. Er hatte den Manilaumschlag mit Glorys Fotos hineingelegt. Es waren die letzten, die sie ihm vor ihrem Verschwinden zugesandt hatte.
Die Postkarte, die sie ihm ein halbes Jahr zuvor geschickt hatte, trug er in seiner Brieftasche immer bei sich. Damit fühlte er sich ihr nahe, seit seiner Ankunft in New York aber war sein Gefühl, sie könnte in Schwierigkeiten stecken, immer stärker geworden.
Dieser Bartley Longe war ein unangenehmer Zeitgenosse. Das sah man auf den ersten Blick. Klar, seine Kleidung war teuer, jeder Idiot konnte das erkennen, er sah auch gut aus, obwohl er irgendwas Verschlagenes an sich hatte. Und wenn er einen anblickte, gab er einem das Gefühl, als wäre man Dreck unter seiner Schuhsohle.
Und er hatte sich sein Gesicht operieren lassen, dachte Toby, das erkennt sogar so ein stinknormaler Typ wie ich. Seine Haare sind zu lang, nicht so lang wie die von diesen Rockstars, die mit ihrer Zottelmähne wie Penner aussehen, aber trotzdem zu lang. Und für einen Haarschnitt blättert er wahrscheinlich vierhundert Dollar hin, genau wie Politiker, die geben das auch für ihren Friseur aus.
Toby musste an Longes Hände denken. Da käme man im Traum nicht drauf, dass er einer ehrlichen Arbeit nachgeht.
Er rang nach Luft. Langsam schob er sich durch den Strom der ihm entgegenkommenden Passanten, bis er die nächste Hauswand erreicht hatte, dort lehnte er sich dagegen, stellte seine Tasche ab und nahm seinen Inhalator heraus.
Er sprühte sich das Medikament in den Mund, atmete mehrmals tief durch und wartete einige Minuten, bis er sich wieder in der Lage fühlte, seinen Weg fortzusetzen. Dabei beobachtete er die Fußgänger. Was es in New York nicht alles für Leute gab! Und mehr als die Hälfte von ihnen sprach ins Handy, selbst wenn sie einen Kinderwagen vor sich herschoben. Plapper, plapper, plapper. Was zum Teufel hatten sie sich bloß dauernd zu erzählen? Eine Gruppe junger Frauen, ungefähr in den Zwanzigern, kam an ihm vor, sie unterhielten sich, lachten, und Toby sah ihnen traurig nach. Sie waren elegant gekleidet und trugen Stiefel, die ihnen bis über die Knie reichten. Wie konnten sie auf diesen irrwitzig hohen Absätzen überhaupt laufen?, fragte er sich. Manche hatten kurze Haare, bei anderen reichten sie über die Schultern. Aber sie sahen alle aus, als wären sie gerade frisch aus der Dusche gehüpft. Sie waren so proper, dass sie richtiggehend funkelten.
Wahrscheinlich hatten sie alle gute Jobs in irgendwelchen Geschäften oder Büros, dachte er.
Er machte sich wieder auf den Weg. Jetzt verstehe ich, warum Glory unbedingt nach New York wollte. Hätte sie sich nur nicht in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden, sondern sich irgendeine Arbeit im Büro gesucht. Dann wäre sie vermutlich nicht in Schwierigkeiten geraten.
Ich weiß, dass sie in der Klemme steckt und dass dieser Longe seine Finger mit im Spiel hat.
Toby wusste, dass seine Turnschuhe Flecken auf dem Teppich in Longes Empfangsbereich hinterlassen hatten. Hoffentlich kriegen sie die nicht mehr raus, dachte er sich, während er einer Obdachlosen auswich, die einen Einkaufswagen mit Kleidung und alten Zeitungen vor sich herschob.
Auch Longes Büro machte einen aufgedonnerten Eindruck, überlegte er. Alles völlig unpersönlich. Man könnte glatt glauben, man wäre im Buckingham Palace. Kein einziges Blatt Papier auf dem Schreibtisch. Wo macht er denn seine Pläne für die Häuser, die er einrichtet?
Gedankenverloren wäre er
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