Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
vermutlich begrenzt. Doch wenn sie ihn provozierte, würde er alles tun, was in seiner Macht stand. Tyler war sein Sohn – und Ethan kümmerte sich um alles, was ihm gehörte.
Irgendwo in seinem Hinterkopf meldete sich eine Stimme, die ihm sagte, dass das alles nicht passiert wäre, wenn er sich für Liz seinerzeit auch so engagiert hätte. Dann hätte er auch von Anfang an von der Existenz Tylers gewusst.
Gut möglich, dass die Stimme in seinem Hinterkopf recht hatte. Aber was Liz getan hatte, ließ sich nicht mehr ungeschehen machen.
„Ethan, bitte.” Sie sah ihm in die Augen. „Wir müssen zusammenarbeiten. Wegen Tyler.”
„Da bin ich ganz deiner Meinung. Aber erwarte bloß nicht, dass ich dir jemals verzeihe oder verstehe, warum du so gehandelt hast, Liz. Du hast, was mein Leben und das meines Sohnes betrifft, Gott gespielt. Ich hoffe, dass es in der Hölle einen speziellen Platz für dich gibt.”
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt. Es war ihm egal. Er drehte sich um und ging. Am Gartentor blieb er stehen. „Morgen Abend um sechs komme ich wieder. Mach alles nicht noch schlimmer, als es jetzt schon ist.”
Und dann war er verschwunden.
Liz griff nach ihrem Kaffee. Normalerweise versuchte sie, sich auf eine oder zwei Tassen zu beschränken. Doch heute, nach einer schlaflosen Nacht, ahnte sie, dass sie ihr Limit bereits vor Mittag überschritten haben würde.
Sie war eine Idiotin gewesen. Das sah sie ein. Was ihr aber überhaupt nicht gefiel, war, dass sie auch gedankenlos und grausam gewesen war – Eigenschaften, von denen sie geschworen hätte, sie nicht zu besitzen.
Der Vorwurf, den Ethan ihr bei seinem Abschied gemacht hatte – dass sie Gott gespielt hätte – hatte sie sehr getroffen. Seine Worte waren ihr seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und sie hatte nun heftige Schuldgefühle. Sie war zwar vor fünf Jahren nach Fool’s Gold zurückgekommen, um ihm von seinem Sohn zu erzählen, doch die ersten sechs Jahre von Tylers Leben hätte Ethan damals trotzdem schon versäumt gehabt.
Diese Zeit ließ sich, wie er gestern mehr als einmal festgestellt hatte, nicht mehr nachholen. Und Liz bedauerte das. Doch jetzt war alles noch schlimmer. Rayanne hatte Ethan offenbar nichts von Liz’ Besuch erzählt. Eine zweite Zurückweisung durch Ethan hatte es also nicht gegeben. Nicht, dass sich dadurch etwas ändern würde. Ethan glaubte ihr offensichtlich nicht. Sie würde Peggy dennoch anrufen und bitten, ihr den Brief nach Fool’s Gold zu schicken. Doch damit wäre nur ein Teil des Problems gelöst. Wenn sich bloß die Sache mit den ersten sechs Jahren genauso leicht aus der Welt schaffen ließe.
Als sie Schritte auf der Treppe hörte, stand sie auf und holte die Milch aus dem Kühlschrank. Ein paar Packungen Frühstücksflocken, Schüsseln und Löffel hatte sie bereits vorhin auf den Tisch gestellt.
Melissa kam als Erste in die Küche. Ihre Jeans und das T-Shirt waren sauber – Liz hatte gestern Abend noch Berge von Wäsche gewaschen -, ihr Haar sah frisch aus und glänzte.
„Guten Morgen.” Liz zwang sich, zu lächeln. Ihre Probleme mit Ethan hatten mit den Mädchen nichts zu tun.
„Hi.” Melissa kam zum Tisch, setzte sich jedoch nicht hin. „Du bist also noch hier.”
„Warum sollte ich nicht hier sein?”
Melissa zuckte die Achseln und zog sich einen Stuhl heraus. „Du hast nicht oben in Dads Zimmer geschlafen.”
Die Vorstellung, im gleichen Bett zu schlafen wie ihr Bruder und vor ihm ihre Mutter, war Liz gruselig vorgekommen. Doch darum ging es nicht. Melissa war anscheinend nachts aufgestanden, um sich zu vergewissern, ob sie noch da war.
„Ich arbeite hin und wieder gern in der Nacht”, erklärte sie. Das stimmte zwar, war allerdings nicht der wahre Grund, warum sie es vorgezogen hatte, auf der Couch im Wohnzimmer zu schlafen. „Da schien es mir einfacher, gleich unten zu bleiben.”
„Ich dachte, du wärst weg”, sagte Melissa, ohne Liz anzusehen.
Liz ging zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich lasse weder dich noch Abby im Stich. Mir ist klar, dass es ein Weilchen dauern wird, bis ihr mir das glaubt, aber ihr könnt euch auf mich verlassen.”
„Okay.”
„Das meine ich ernst”, sagte Liz mit fester Stimme. „Wir schaffen das gemeinsam. Du hast nicht zufällig ein Handy, oder?”
Melissa schüttelte den Kopf.
„Wir besorgen dir heute nach der Schule eines und speichern meine Nummer ein. Dann kannst du mich jederzeit
Weitere Kostenlose Bücher