Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
schon zu alt dafür war.
„Wie wär’s mit zwei Monaten?”, schlug Tyler vor und wackelte mit den Augenbrauen. „Plus neunundzwanzig Tage.”
„Eher unwahrscheinlich.” Liz atmete tief durch. Sie wünschte, er stünde neben ihr, damit sie ihn an sich drücken konnte. Denn sobald sie gesagt hatte, was es zu sagen gab, würde sich alles verändern. Das wusste sie. Die Wahrheit würde alles verändern, und nichts würde mehr sein, wie es war.
„Ich muss etwas mit dir besprechen”, begann sie. „Es ist nichts Schlimmes”, fügte sie hinzu.
„Okay.”
Er wartete geduldig und voller Vertrauen. Er tat es, weil sie ihn nie angelogen und nie im Stich gelassen hatte. Sie nervte ihn, weil sie seine Mom war und es gewisse Regeln gab, an die er sich halten musste. Aber das hier war etwas anderes, das spürte er.
„Du hast mich oft nach deinem Dad gefragt”, begann sie. „Und ich wollte nie über ihn sprechen.”
Er kräuselte die Nase. „Ich weiß.”
„Jetzt bin ich bereit, über ihn zu reden.”
Tyler hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt. Jetzt aber richtete er sich auf und sah sie erwartungsvoll an. „Über meinen Dad?”
Sie nickte. „Er ist, hm, er ist ein netter Kerl. Bauunternehmer. Das ist jemand, der Dinge baut – wie beispielsweise Häuser und ...”
Tyler seufzte schwer und sank in seinen Stuhl zurück. „Ich weiß, was ein Bauunternehmer ist, Mom.”
„Oh. Natürlich weißt du das. Nun ja, er ist Bauunternehmer und baut auch Windmühlen. Diese Dinger, die Strom erzeugen.”
„Windkraftwerke.”
„Wie bitte?”
Tyler sah sie ein wenig von oben herab an. „Es heißt Windkraftwerke.”
„Danke.” Liz rutschte auf ihrem Stuhl unruhig hin und her. Sie wünschte, sie müsste es ihm nicht sagen. Sie wünschte, alles könnte beim Alten bleiben. Doch das war egoistisch. Tyler hatte es verdient, seinen Dad kennenzulernen. Und Ethan ... tja, er hatte es ebenfalls verdient, seinen Sohn kennenzulernen.
„Er lebt hier. In Fool’s Gold. Ihr werdet euch heute Abend treffen.”
Tyler sprang geradezu mit Lichtgeschwindigkeit von seinem Stuhl auf. Er lief zu ihr, warf sich in ihre Arme und schmiegte sich an sie.
„Ich treffe meinen Dad? Wirklich?”
„Ja. Ich habe ihn gestern Abend gesehen, und er möchte dich kennenlernen.”
Tyler starrte sie ungläubig an. „Heute Abend?”
„Um sechs.”
Eine ungünstige Zeit, dachte sie. Sie würden sehr früh zu Abend essen müssen – oder sehr spät. Nicht, dass sie besonders viel Appetit haben würde ... Und Tyler würde wahrscheinlich so aufgeregt sein, dass er keinen Bissen hinunterbrächte. Aber die Mädchen brauchten ein Abendessen.
Ich werde ihnen um fünf etwas richten, dachte sie abwesend und zog die Einkaufsliste zu sich.
„Mein Dad kommt hierher?”
„Mhm.”
„Du hast ihn wirklich gesehen? Ehrlich?”
Sie umarmte ihn und wünschte, sie könnte ihn ewig festhalten. „Ja.” Sie strich ihm die Haare aus der Stirn und sah ihm in seine dunklen Augen. „Zwischen Erwachsenen sind die Dinge oft kompliziert. Als du sechs Jahre alt warst, bin ich nach Fool’s Gold gefahren, um ihm von dir zu erzählen. Er war nicht da. Er war beruflich unterwegs. Also habe ich es seiner Frau gesagt, und sie hat versprochen, es ihm auszurichten. Nur hat sie ihr Versprechen nicht gehalten.”
Daran bestand kein Zweifel. Ethan war ja aus allen Wolken gefallen, als er es gestern erfahren hatte.
„Sie hat gelogen?” Tyler klang schockiert. Er war noch jung genug zu glauben, dass die meisten Erwachsenen immer die Wahrheit sagten.
„Sie hat ihm die Wahrheit verschwiegen, was ungefähr das Gleiche ist. Ich dachte, er wollte nichts mit uns zu tun haben, aber ich hatte unrecht. Er freut sich sehr darauf, dich zu sehen.”
Tyler sah sie hoffnungsvoll an. „Glaubst du, er mag mich?”
„Ich glaube, er wird begeistert von dir sein.” Sie streichelte ihm über die Wange. „Du siehst ihm sehr ähnlich. Ihr habt die gleichen dunklen Haare und Augen.”
„Aber ich habe dein Lächeln.”
„Ja, das stimmt. Und das hätte ich gern wieder zurück.” Sie beugte sich vor und kitzelte ihn.
Tyler musste lachen. Nicht nur wegen des Kitzelns, sondern auch über den alten, albernen Witz wegen des Lächelns.
Er schmiegte sich an sie. „Ich wünschte, ich hätte noch Schule. Dann könnte ich allen erzählen, dass ich auch einen Dad habe.”
„Du erzählst es ihnen im September.”
„Glaubst du, dass Dad mit uns nach San Francisco kommt und mit
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