Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
ihm mit einem Kopf schütteln das Wort ab. „Internationale Kontakte sollte man nicht warten lassen. Wir sehen uns.”
Sie verließ sein Büro und ging zu ihrem Auto. Ihre Gedanken überschlugen sich. Es gab also mehrere Versionen der Vergangenheit. Sie hatte sich immer geärgert, weil in ihrer Kindheit und Jugend kein Mensch etwas wegen ihrer familiären Verhältnisse unternommen hatte. Und jetzt erfuhr sie, dass ihr Schicksal manchen Leuten doch nicht ganz egal gewesen war.
Was bedeutete das nun? Dass Fool’s Gold doch nicht böse war? So hatte sie die Sache noch nie gesehen.
Die Tatsache, dass es ein nach ihr benanntes Stipendium gab, sollte eigentlich keinen Unterschied machen. Und dennoch ging es ihr, seit sie davon erfahren hatte, insgesamt besser. Warum das so war, wusste sie nicht genau.
Liz wachte am nächsten Morgen mit dem Gefühl auf, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, ging sie nach unten und machte Kaffee. Da die Kinder schlafen würden, bis der Bautrupp eintraf, hatte sie ungefähr eine halbe Stunde nur für sich.
Sie nahm ihren Kaffee mit hinaus auf die Veranda, um die morgendliche Stille zu genießen. Die Luft war kühl, der Himmel klar, und die Vögel zwitscherten. Liz setzte sich mit ihrem Kaffeebecher auf die oberste Verandastufe.
Vielleicht brauche ich mehr Zeit, um mich zu entscheiden, überlegte sie. Ja, da war einiges, was sie an dieser Stadt wirklich hasste. Aber manches mochte sie auch. Melissa und Abby wollten unbedingt bleiben. Musste sie nicht Rücksicht darauf nehmen – nach allem, was die beiden durchgemacht hatten? Tyler wäre froh, wenn er in der Nähe seines Vaters leben könnte. Und Liz wusste, dass Ethan es sich auch wünschte. Ethans Mutter allerdings stellte ein Problem dar. Allerdings war eine wütende Großmutter wahrscheinlich immer noch besser als eine, die sich überhaupt nicht für ihren Enkel interessierte. Vielleicht würden sie und Liz mit der Zeit ja Frieden schließen.
Natürlich bestand die Gefahr, dass Liz sich diesbezüglich etwas vormachte. Es war möglich, dass sie sich von diesem Stipendium, ein paar netten Worten und der Geborgenheit in Ethans Armen blenden ließ. Mit der Zeit werde ich schon Klarheit gewinnen, sagte sie sich. Sie brauchte ja niemandem zu sagen, dass sie sich ihre Rückkehr nach San Francisco noch einmal gründlich überlegen wollte.
Ein ihr unbekannter Wagen hielt am Straßenrand, und ein älterer Mann in einem Anzug stieg aus. Er starrte Liz einen Moment lang an, zuckte die Achseln und holte dann etwas aus dem Wagen.
„Guten Morgen”, sagte er, als er mit einem Briefumschlag in der Hand auf sie zukam. „Sie sind früh auf.”
Sie lächelte. „Es ist die einzige Zeit, in der es ruhig ist.”
„Ich verstehe.” Er zögerte. „Mein Arbeitstag beginnt in ein paar Stunden. Ich war gerade unterwegs zu Starbucks. Der Caffe Latte dort hat es mir angetan. Ohne ihn komme ich morgens nicht auf Touren.”
Liz stand auf und ging zum Gartentor. Die Unterhaltung war zwar ausgesprochen nett, dennoch bereitete die Anwesenheit des Mannes ihr leises Unbehagen.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?”
Der alte Mann nickte langsam. „Ich wäre sonst später noch einmal vorbeigekommen, aber da sie jetzt schon wach sind ... Elizabeth Marie Sutton?”
Woher kannte er ihren Namen?
Sie spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief.
Er hielt ihr den Umschlag hin. Dann wartete er, bis sie ihn in die Hand nahm. „Hiermit wurde Ihnen das amtliche Schriftstück persönlich übergeben.”
11. KAPITEL
D u schleimiger, hinterhältiger, abscheulicher Mistkerl”, schrie Liz, als Ethan das Bürogebäude betrat.
Er blieb stehen und starrte sie argwöhnisch an. Liz schien vor Wut zu kochen, was kein gutes Zeichen war. Und er glaubte auch zu wissen, warum sie so wütend war.
Sie wartete am Empfang. Es war noch früh, sodass die meisten Mitarbeiter noch nicht da waren. Nevadas Pick-up stand auf dem Parkplatz, doch Ethans Schwester war nirgends zu sehen. Normalerweise kam sie immer gegen halb sieben, und auch heute hatte sie keine Ausnahme gemacht. Der einzige Unterschied zu sonst war, dass sie offensichtlich Liz hereingelassen hatte, damit sie hier auf ihn warten konnte.
„Ich hätte es wissen müssen”, fuhr Liz fort. Ihre grünen Augen funkelten. „Du bist mir schon wieder in den Rücken gefallen. Und wie stehe ich jetzt da? Wie ein Idiot. Ich habe es endgültig satt, immer wieder
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