Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
verliebt hatte? Oder war der Mensch, der ihr einmal so wichtig gewesen war, nur eine Illusion?
„Ich ertrage es nicht noch einmal, Tyler zu verlieren.”
„Du wirst ihn nicht verlieren. Wie oft muss ich es dir denn noch sagen, bevor du glaubst, dass ...” Sie brach ab und starrte ihn an. Jetzt begann sie langsam, zu verstehen. „Natürlich”, flüsterte sie. „Du kannst mir nicht glauben. Denn wenn ich vernünftig bin, wenn ich wirklich will, dass du deinen Sohn besser kennenlernst, dann bin ich in der ganzen Sache ja nicht mehr die Böse. Und dann müsstest du dir eingestehen, dass vielleicht ein paar deiner Entscheidungen der Grund dafür sind, wie sich alles entwickelt hat.”
Sie dachte daran, wie er sie verleugnet hatte. Doch als sie seinen eisigen Blick bemerkte, ahnte sie, dass er gedanklich bei etwas anderem war.
„Lass Rayanne aus dem Spiel”, knurrte er.
„Rayanne habe ich doch gar nicht gemeint.”
„Du gibst ihr die Schuld.”
Sie dachte darüber nach. „Nicht so sehr wie du.”
„Ich gebe ihr nicht die Schuld. Sie war meine Frau.”
Irgendetwas an der Art und Weise, wie er die Worte aussprach, kam Liz seltsam vor. Sie wusste nicht genau, was es war. Anscheinend gab es da etwas, irgendein Geheimnis, von dem sie nichts wusste.
Ehe sie entscheiden konnte, ob sie ihn ohrfeigen oder einfach stehen lassen und gehen sollte, streichelte er ihr zu ihrer Überraschung mit dem Handrücken über die Wange.
„Entschuldige”, sagte er. „Es ist ein sensibles Thema.”
„Offensichtlich.”
Sie starrten einander an. Ethan in die Augen zu sehen war so, als schaute man direkt in die Sonne. Und wenn man es zu lange tat, hatte es dauerhafte Konsequenzen.
„Ich will nicht mit dir streiten”, erklärte er. „Du hast recht. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.”
Wieder streichelte er ihr über die Wange. Liz hätte sich am liebsten an ihn gelehnt. „Als würde ich dir jetzt noch glauben.”
„Ich will dir nicht wehtun, Liz.”
Sie sah weg. „Was willst du, sag es mir?”
Er ließ seine Hand sinken. „Am liebsten würde ich die Zeit zurückdrehen. Ich möchte dabei sein, wenn Tyler auf die Welt kommt, und miterleben, wie er aufwächst.”
Sein Gesichtsausdruck war so ehrlich, die Traurigkeit in seiner Stimme so echt, dass es Liz eng um die Brust wurde.
„Mir tut es auch leid”, sagte sie leise. „Mehr, als ich dir sagen kann.”
„Ich weiß.”
Zwei kleine Wörter, die normalerweise nicht viel bedeuteten. Doch in diesem Moment und von Ethan ausgesprochen bedeuteten sie für Liz alles.
„Wir werden es schon schaffen”, sagte sie. „Ich möchte, dass du und Tyler so viel Zeit wie möglich miteinander verbringt.”
„Das wird schwer werden, wenn du in San Francisco lebst.”
Liz hätte gern erwidert, dass er ja umziehen könnte, wenn ihm die Sache so verdammt wichtig war. Er könnte seine Firma auch von dort aus leiten. Aber sie wusste, dass diese Idee unrealistisch war. Sie wusste, dass die meisten Leute sagen würden, dass sie diejenige sein musste, die einen Kompromiss einging. Dass sie ihr Leben umkrempeln und zurück nach Fool’s Gold ziehen musste. Weil es für alle das Beste wäre.
Für alle, bis auf sie selbst.
„Ich muss los”, sagte sie schließlich. „Ich muss noch arbeiten, bevor die Kinder aus dem Camp zurückkommen.”
Sie gingen gemeinsam zum Parkplatz. Liz hätte gern noch irgendetwas gesagt. Etwa, dass sie bestimmt einen Kompromiss finden würden, mit dem sie alle leben konnten. Doch diesen Kompromiss gab es wohl nicht.
Als sie die Schlüssel für ihren kleinen Geländewagen aus ihrer Tasche nahm, packte Ethan sie am Arm. Er zog sie an sich und küsste sie. Einfach so, an einem Donnerstag, am helllichten Tag, mitten auf einem öffentlichen Parkplatz.
Liz konnte die Mischung aus Leidenschaft, Wut und wilder Entschlossenheit, mit der er sie küsste, gut nachvollziehen. Statt ihn wegzuschieben, lehnte sie sich an ihn, ließ ihren Gefühlen freien Lauf und erwiderte seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft. Ethan schlang einen Arm um ihre Taille, und Liz legte ihre freie Hand auf seine Schulter.
Plötzlich versank alles um sie herum bis auf die Hitze der Sonne und den Mann, der sie festhielt. Da war Sehnsucht und Verheißung – und das Gefühl, dass in diesem Moment einfach alles möglich war. Dann sickerte die Realität in Form eines lauten Hupens und des Verkehrslärms wieder zu ihr durch, und ihr wurde bewusst, dass sich ihre Probleme nicht
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