Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
verärgert. Gleichzeitig war sie traurig. Immer die gleichen Vorwürfe. Sie und Ethan steckten fest, und sie wusste nicht, wie sie es ändern sollte.
Sie gingen in einen Warteraum und wurden bald darauf in das Richterzimmer gerufen.
Richterin Powers war eine kleine, dunkelhaarige und zierliche Frau. Sie saß hinter einem großen Schreibtisch und lehnte sich erwartungsvoll in ihrem Lederstuhl zurück, als Ethan und Liz eintraten.
Sie deutete auf die zwei Stühle vor ihrem Schreibtisch. Nachdem Ethan und Liz Platz genommen hatten, holte die Richterin tief Luft.
„Angelegenheiten wie diese sind sehr ermüdend für mich”, begann sie in deutlich gereiztem Tonfall. „Sie beide verschwenden meine Zeit und auch die des Gerichts. Sie sind zwei einigermaßen intelligente Menschen, die es immerhin geschafft haben, ein Kind zu zeugen. Und jetzt, da Ihr Sohn elf ist, muss ich mich plötzlich mit der Sache auseinandersetzen?”
Liz musste die Lippen fest aufeinanderpressen, damit sie die Richterin nicht mit offenem Mund anstarrte. Sie hatte nicht gewusst, was sie hier erwarten würde, aber mit so einer Eröffnung hatte sie nicht gerechnet.
„Euer Ehren”, antwortete Ethan, „die Umstände sind etwas ungewöhnlich.”
„Das sind sie immer.” Richterin Powers nahm ihre Lesebrille und schlug eine Akte auf. „Also?”
Ethan erklärte in kurzen Worten, wie Tyler in sein Leben getreten war. Liz musste ihm zugestehen, dass er relativ fair wiedergab, wie sie ihm von seinem Sohn zu erzählen versucht hatte. Ihren ersten Versuch schilderte er ein wenig oberflächlich, doch den zweiten sehr genau und wahrheitsgetreu.
Richterin Powers runzelte die Stirn. „Ihre Frau hat Ihnen die Information vorenthalten, dass Sie einen Sohn haben?”
Ethan nickte.
„Und?” fragte die Richterin trocken. „Wo ist sie jetzt?”
„Sie ist vor ein paar Jahren gestorben.”
Richterin Powers atmete tief durch. „Mein Beileid. Und Sie, Ms Sutton, sind jetzt also wieder in der Stadt. Sie kümmern sich meines Wissens um die zwei Töchter Ihres Bruders, während er eine Haftstrafe verbüßt. Ist das richtig?”
Liz erschrak zum zweiten Mal in diesem erst so kurzen Treffen. Dann nickte sie. „Ja, Euer Ehren.”
„Sehen Sie mich nicht so überrascht an”, sagte die Richterin. „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Was Sie für die beiden tun, ist bewundernswert. Ich habe gehört, Sie wollen die beiden mit zu sich nach San Francisco nehmen. Was sagen die Mädchen dazu?”
„Sie sind nicht gerade glücklich darüber.”
„Sie sind Teenager. Sie werden über nichts glücklich sein.” Sie hob die Akte auf und sah Ethan über den Rand ihrer Brille hinweg an. „Das war nicht gerade das Klügste, was Sie jemals getan haben.”
„Das sehe ich langsam auch so.”
„Dann wären wir für heute fertig. Sie müssen die Angelegenheit selbst regeln. Sie beide. Die Schule fängt am Dienstag nach dem Labour Day an. Sie haben ab heute bis Freitag vor dem Labour Day Zeit, sich eine vernünftige Vereinbarung zu überlegen. Um neun Uhr morgens werden Sie mir diese Vereinbarung präsentieren. Wenn Sie mir gefällt, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, dann ...” Sie lächelte mit zusammengekniffenen Lippen. „Vertrauen Sie mir. Sie wollen, dass es mir gefällt.” Das Lächeln erstarb. „Falls Sie sich nicht einigen, stecke ich Sie beide ins Gefängnis und verurteile Sie so lange zu einer Geldstrafe von 500 Dollar pro Tag, bis Ihnen eine gemeinsame Lösung einfällt. 500 Dollar pro Tag für jeden von ihnen. Das sollte die Kosten für drei zusätzliche Kinder decken, um die sich unser ohnehin schon überlastetes Fürsorgesystem dann kümmern muss. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?”
Liz nickte. Sie hatte keine Ahnung, ob Ethan das Gleiche tat, denn sie wurden beide bereits wieder hinausgeführt.
Draußen auf dem Korridor fühlte sie sich, als wäre sie gerade einem Krieg entkommen.
„Oh Gott.” Ethan fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Mit so etwas habe ich nicht gerechnet.”
„Wir müssen uns etwas einfallen lassen.” Liz sah sich verstohlen zur Tür um. „Die Aussicht, pro Tag 500 Dollar zu zahlen, ist nicht gerade erfreulich. Wenigstens könnte ich im Gegensatz zu dir vom Gefängnis aus arbeiten. Aber du bist schuld, dass wir jetzt beide in der Klemme sitzen.”
„Ich habe getan, was ich tun musste.”
„Du musst wohl immer recht haben, was?” Was war aus dem liebevollen, witzigen Mann geworden, in den sie sich
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