Ich gab mein Herz fuer Afrika
und Alan ein Jahr gemeinsam im Busch und filmten den Hammerkopf – er wird auch Blitzvogel genannt, der König der Vögel Afrikas – bei seinem unerklärlichen jährlichen Ritual: Er baut ein mächtiges, überdimensionales Nest aus zusammengesuchten Pflanzen, die er aufhäuft, bis das Nest etwa so groß ist wie eine Badewanne. Es hat ein Strohdach, in dem sich auch Federn, Tierhufe und manchmal sogar Gnuschwänze finden, aber irgendwann wird dieser Prachtbau von der Zeit und von Raubtieren in Mitleidenschaft gezogen. Am Ende des Films verlässt der Hammerkopf das kunstvoll gebaute Nest, und nach und nach bezieht es eine nicht enden wollende Schar von Opportunisten – Pythons, Hyänen, Eulen, Ratten, Ginsterkatzen und Paviane –, die entweder eine schnelle Mahlzeit oder ein bequemes Nest suchen, in dem sie für eine Nacht unterkommen. Doch obwohl es so sinnlos ist, diese prachtvollen Nester zu bauen, beginnen die Blitzvögel Jahr um Jahr immer wieder mit der Plackerei.
»Warum bauen die Hammerköpfe diese gewaltigen Nester, und warum fliegen sie Hunderte von Meilen und tragen gewaltige Lasten, um ein Konstrukt zu bauen, das viel zu groß ist, um ihnen beim Überlebenskampf etwas zu nützen?«, fragt der Sprecher in dem Film. »Und weshalb ziehen sie so häufig weiter, ohne die Nester überhaupt zu benutzen? Wissenschaftler sagen, dieser Energieaufwand müsse einen positiven Effekt haben. Aber welchen, das wissen sie auch nicht. Andere
vermuten, das Nest des Hammerkopfes sei eine extravagante Geste, eine freche Herausforderung, die all unsere Gesetze und Theorien über die natürliche Selektion aufhebt …« 435
»Afrika ist der Kontinent der Legenden«, sagt der Sprecher zuvor einmal. Mit ihrem Tod gehört nun auch Joan Root dazu, ein legendäres Leben, gefangen zwischen den großen Extremen des Landes, der Schönheit und der Brutalität. Weshalb musste diese Frau sterben, die das Land und die Menschen, die sie liebte, retten wollte – und wer wird die Arbeit weiterführen, der Joan einen so großen Teil ihres Lebens vergebens gewidmet hat, nachdem sie wie der Blitzvogel unfreiwillig ihr Nest zurückließ, damit andere es bewohnen und sich davon ernähren können?
Auf diese Frage wusste am 4. März 2006 niemand eine Antwort. Bei der Gedenkfeier für Joan auf ihrem Anwesen saß ich zwischen hundert Trauergästen, darunter viele der renommiertesten Tier- und Naturschutzexperten weltweit. 436 Die Trauergäste kamen mit dem Flugzeug, dem Auto, zu Fuß, sie waren schwarz und weiß, reich und arm, und sie wollten »diese freundliche, sanfte Frau« feiern, hieß es im Programm. Sie wollten feiern, wer sie war und was sie getan hatte. Sie war nur ein einzelner Mensch, ebenso gefährdet wie die Tierarten, die sie filmte und für die sie kämpfte: die Elefanten, die einst durch Tsavo stapften, die rosafarbenen Flamingos, die sich am Magadisee aus ihren Fußfesseln erhoben, die gefährdeten Fische und Vögel, die am Naivashasee vorübergehend eine Gnadenfrist erhalten hatten.
Doch für diejenigen, die sie liebten, war sie ein weiterer Dominostein, der umgefallen war, und wer wusste, was nach Joan Root kam?
Das Deckblatt des Programms zur Trauerfeier zeigte ein Aquarell von Joans Garten, mit ihren beiden Kronenkranichen im Vordergrund und dem Naivashasee in der Ferne – genau der Ort, wo die Gedenkfeier abgehalten wurde, mit hundert Stühlen, die um ein kleines Podest aufgestellt waren.
»Nicht weit von der Stelle, wo wir uns nun versammelt haben, wurde Joan Root kaltblütig ermordet«, sagte ein Priester zu Beginn. »Es ist schwer zu begreifen«, fuhr er fort und versuchte zu verstehen, weshalb ihr Leben »schändlich abgekürzt wurde. Die Kugeln konnten sie zwar niederstrecken, aber kein Mörder – mag er noch so brutal sein – könnte auslöschen, was sie getan hat und wofür sie stand.«
Auf dem Programm waren drei Redner aufgeführt: Joan und Alans langjähriger Freund Ian Parker, der ihre Heißluftballonfahrt über den Kilimandscharo gefilmt hatte, Joans Freundin Dee Raymer, die mit ihr in mehreren Umweltschutzorganisationen saß, und David Coulson, der Joans Tapferkeit und ihre harte Arbeit als seine Assistentin bei seinen Expeditionen zu Felszeichnungen in der Sahara und im Tschad lobte. Als er zu seinem Platz zurückkehrte, hatte er per SMS eine Drohung auf sein Handy bekommen, die sich allem Anschein nach auf etwas bezog, das er gerade in seiner Rede gesagt hatte. Es schien, als würden Joans Mörder bei
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