Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
abgesprungen. Die Hamburger Sparkasse machte Druck, hatte uns die Kreditlinien gekündigt, und auch das Finanzamt stellte Forderungen. Unsere laufenden Kosten konnten nur noch beglichen werden, weil ein paar Freunde meiner Familie sofort und bedingungslos Geld liehen.
In den zwei Wochen, die uns bis zum Prozessbeginn noch blieben, saßen Jan Jütting und ich jeden Tag zusammen. Er hatte sein Laptop und die CDs mit Tonaufnahmen des FBI dabei. Ich verbrachte endlose Stunden damit, die Aufzeichnungen der Telefongespräche zwischen Andreas B. und Carl F. und von unserem Treffen am 14. Januar abzuhören und die Texte mit den Übersetzungen ins Englische abzugleichen, die das FBI vorgelegt hatte. Und ich verstand noch immer nicht, was sie uns eigentlich vorwarfen.
10
Mein Zellengenosse Carlos Alvarez verbrachte viele Stunden am Tag damit, Briefe an seine Familie und seine Freunde zu schreiben. Nach ein paar Tagen erzählte er mir, dass auch seine Frau Elsa verhaftet worden war und irgendwo in diesem Gebäude saß. Die beiden wurden beschuldigt, Spione im Dienste Kubas zu sein. Für mich hörte sich die Geschichte an, als stamme sie aus den Zeiten des Kalten Krieges.
Carlos Alvarez war auf Kuba geboren und 1961, auf dem Höhepunkt des militärisch-politischen Konfliktes zwischen den USA und dem Revolutionsregime Fidel Castros, mit seinen Eltern aus dem Land geflohen. Zwölf Jahre später wurde er amerikanischer Staatsbürger. Seine Frau arbeitete wie er an der Universität. Die beiden hatten fünf Kinder: Die jüngste Tochter war 13, die größeren waren schon lange berufstätig.
Über seine Verhaftung, die jetzt etwa zwei Monate zurücklag, war er noch immer fassungslos. Über die konkreten Tatvorwürfe sprach Carlos nicht viel – uns wurde von unseren Anwälten stets zur Verschwiegenheit geraten, denn man wusste nie, welche Wege solche Informationen nahmen. Aber dass das FBI jahrelang seine privatesten Lebensbereiche bespitzelt hatte, das hat mir Carlos schon erzählt. Sogar in seinem Schlafzimmer hatten sie eine Wanze versteckt, sodass sich die FBI-Ermittler jahrelang mit den Bettgesprächen des Ehepaares Alvarez amüsieren konnten. Der Lauschangriff auf das Ehepaar hatte – so war es später auch in den Zeitungen zu lesen – schon lange vor dem 11. September 2001 begonnen, als solche Abhöraktionen im privaten Bereich noch eindeutig illegal waren. Doch letztlich hatte das Ehepaar Alvarez während dieser sieben Jahre nichts gesagt, was auf irgendwelche illegalen Aktivitäten hinwies.
Für mich war Carlos Alvarez ein typischer linksliberaler Intellektueller, der an Politik noch nicht einmal sonderlich interessiert schien. Er hatte, so betonte er immer wieder, bislang geglaubt, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben, in dem nur Leute im Gefängnis landeten, die wirklich etwas verbrochen hatten. Und nun saß er selbst hier. Ihm drohten bis zu 30 Jahre Haft und die Zerstörung all dessen, was er ein Leben lang aufgebaut hatte.
Später habe ich mehr über die Geschichte von Carlos und Elsa Alvarez erfahren. Ihre Akte hatte offenbar schon etwas Staub angesetzt, als irgendjemand beim FBI Miami im Frühsommer 2005 eine Idee hatte, wie man Carlos Alvarez eine Falle stellen konnte. An einem Junitag lauerten sie ihm auf: Er hatte frühmorgens die Messe in seiner Kirchengemeinde besucht und ging danach einen Kaffee trinken. Sie sprachen ihn an, wiesen sich als FBI-Beamte aus und forderten ihn auf, ihnen unauffällig zu folgen. «Dies wird der wichtigste Tag in Ihrem Leben», versprachen sie ihm.
Sie nahmen ihn mit in ein Hotelzimmer, wo er sieben Stunden lang verhört und unter Druck gesetzt wurde. Sie warnten ihn, irgendjemandem zu erzählen, wo er gewesen war und mit wem er den Tag verbracht hatte. Sie erklärten ihm, dass er sein gewohntes Leben nur dann unbeeinträchtigt fortsetzen könne, wenn er mit dem FBI kooperiere. Sie versprachen ihm Straffreiheit, wenn er alles zugeben würde. Sie machten ihm klar, dass sie alles über die Lebensgewohnheiten seiner Kinder wussten. Über seine jüngste Tochter sprachen sie besonders teilnahmsvoll: So ein hoffnungsvolles Mädchen, das sein ganzes Leben noch vor sich habe!
Am Ende des Tages war Carlos Alvarez offenbar bereit, alles zu unterschreiben, was von ihm verlangt wurde – wenn man nur seine Familie in Ruhe ließ. Ihm war klar, dass das FBI trotz intensivster Überwachung keinerlei Beweis gegen ihn in der Hand hatte. Und er stimmte zu, sich weiter mit ihnen zu
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