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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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Zellengenosse fast vollständig mit Schreibpapier und persönlichen Unterlagen bedeckt. Mit diesem freundlichen, älteren Herrn verstand ich mich auf Anhieb sehr gut: Carlos Alvarez war, wie er mir erklärte, Professor für Psychologie an der International University of Florida. Zumindest war er das dreißig Jahre lang gewesen. Was ihn hierher verschlagen hatte, erzählte er mir erst, nachdem wir uns ein bisschen näher kennengelernt hatten.
    Wir waren im 11. Stock des Gebäudes untergebracht. Das Zentrum unserer Abteilung bildete ein ovaler Gemeinschaftsraum, der etwa 80 Quadratmeter groß war. Darum herum waren, in zwei Stockwerken übereinander, 66 Zellen für jeweils zwei Männer angeordnet. Am einen Ende des Gemeinschaftsraumes liefen – stumm – drei TV-Geräte mit verschiedenen Programmen, den Ton dazu konnte man über Kopfhörer auf einem Extra-Kanal empfangen, wenn man ein Radio besaß. Wir konnten unsere Zellen mehrmals am Tag für einige Stunden verlassen. Wenn man sich untereinander absprach und den Sehschlitz in der Zellentür mit Klopapier abdeckte, konnte man unbeobachtet in seiner Zelle auf die Toilette gehen. Das war schon mehr Privatsphäre, als ich aus dem Broward County Jail gewohnt war.
    Das Essen war hier deutlich besser. Es gab zwei warme Mahlzeiten am Tag, mehrmals in der Woche Fleisch, oft Gemüse, dafür wenig Obst. Ich beschloss, meine Hungerkur erst einmal zu unterbrechen, aber weiter auf mein Gewicht zu achten. Wir hatten außerhalb der Essenszeiten Zugang zur Küche und konnten dort kleine Mahlzeiten selbst bereiten, sodass es gelegentlich sogar zu Essenseinladungen unter Gefangenen kam. Ich füllte schon am ersten Tag eine Einkaufsliste aus und wurde bald darauf mit neuer Kleidung, Körperpflegeartikeln, Papier, Kugelschreibern und ein paar Lebensmitteln beliefert. Im Vergleich zu meinem letzten Knast war dies hier ein Einkaufsparadies.
    Aber an die frische Luft kamen wir auch hier nie, wenn man mal von dem großen, überdachten Raum mit einem Basketballfeld absah, zu dem es einen Zugang aus dem Gemeinschaftsraum gab. Dort war man nur durch Gitterstäbe von Sonnenschein und Regen getrennt, und es kam Luft von draußen herein. Das war schon ein Luxus, den es auch in diesem Gebäude nirgendwo sonst gab.

    Ich hatte wieder einmal nichts. All meine privaten Sachen – meine Post, mein Beatmungsgerät, Fotos, mein Radio – hatte ich im Broward County Jail zurückgelassen. Später erfuhr ich von meiner Anwältin, dass meine aufmerksamen Zellengenossen die meisten Sachen in Sicherheit gebracht und an ihr Büro geschickt hatten, sonst hätte ich vermutlich nichts davon je wiedergesehen. Briefe, die in den Tagen nach meiner Verlegung im Broward County Jail für mich ankamen, wurden mit einem roten Stempel versehen und an die Absender zurückgeschickt. Not in custody stand darauf, «nicht in Haft».
    Nach ein paar Tagen im FDC Miami konnte ich zum ersten Mal direkt nach Hause telefonieren. Bislang hatte das nur einige wenige Male geklappt – ich rief eine Nummer in Florida an, und mein Anruf wurde von dort aus nach Deutschland weitergeleitet. Meistens aber endete dieser Versuch mit irgendeiner technischen Panne und für mich mit einer bodenlosen Enttäuschung. Hier waren zwar Anrufe nach Übersee prinzipiell möglich, aber natürlich gab es zahlreiche Einschränkungen: Erstens kam man an die Fernsprecher nur heran, wenn die Zellen zum Gemeinschaftsraum hin aufgeschlossen wurden. Dann durfte man nur 15 Minuten lang sprechen und musste danach eine Pause von mindestens einer halben Stunde einlegen. Ich stellte mich also am Ende meiner Sprechzeit gleich wieder in die Warteschlange vor den öffentlichen Fernsprechern im Gemeinschaftsraum. Trotzdem konnte ich nicht sicher sein, dass 30 Minuten später wieder einer der Apparate frei war – die meisten waren nämlich ständig defekt. Eine Viertelstunde vor Einschluss in die Zellen wurden die Telefone ohnehin abgeschaltet.
    Ich musste außerdem die Zeitverschiebung berücksichtigen: Wenn ich mittags telefonieren konnte, war es in Deutschland schon Abend, wenn ich erst abends an ein Telefon herankam, wurde zu Hause jemand mitten in der Nacht geweckt. Hatte ich schließlich den richtigen Zeitpunkt getroffen und endlich jemanden aus meiner Familie oder in der Kanzlei erreicht, musste alles ganz schnell gehen. Denn es gab ja immer eine Menge zu klären: finanzielle Fragen, laufende Mandate in meinem Büro, Unterlagen, die zu meiner

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