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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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Prozessvorbereitung benötigt wurden, und so weiter.
    Manchmal standen Jan Jütting und meine Kinder regelrecht Schlange am Telefon: «Man stand da mit einer Stoppuhr, jeder hatte drei Minuten – das war schon Stress. Wenn viel Geschäftliches zu besprechen war, war es fast unangebracht, auch noch irgendwas aus dem eigenen Leben zu erzählen», erzählte eine meiner Töchter später. Für meine Kinder war es schlimm, wenn die Stimmung am Telefon dann angespannt und hektisch wurde, wenn sie das Gefühl hatten, dass es mir nicht gutging. «Man hat schon gemerkt, wenn Panik durchschlug. Das war ja für uns auch eine ganz neue Situation. Bis dahin war es so gewesen: Wenn es irgendein Problem gab, hat unser Vater das eben gelöst. Aber dass er im wahrsten Sinne des Wortes mit gebundenen Händen dasteht und nicht einmal mehr richtige Entscheidungsgrundlagen hatte, das war ganz ungewohnt», erinnert sich Lisa Lou.
    Freie Marktwirtschaft in geschlossenen Anstalten – zum Thema Telefontarife
    Die Kosten für ein Telefongespräch sind in den letzten zwanzig Jahren überall auf der Welt drastisch gesunken. Fast überall: Das Telefonieren in den amerikanischen Gefängnissen ist im selben Zeitraum sehr viel teurer geworden. Wie teuer genau, muss man in jeder Haftanstalt neu herausfinden: Denn überall gelten unterschiedliche Tarife und Regelungen.
    In vielen Gefängnissen sind zum Beispiel nur collect calls möglich: Der Angerufene wird, bevor eine Verbindung hergestellt wird, gefragt, ob er bereit ist, das Gespräch anzunehmen und zu bezahlen. Neben einer Grundgebühr für die Herstellung der Verbindung wird bei collect calls im Minutentakt abgerechnet, und mancherorts kostet jede Einheit einen US-Dollar oder mehr. Wenn so ein Gespräch nach 15 Minuten beendet wird, sind also bis zu 20   Dollar fällig geworden – aufseiten des Angerufenen. Zwei oder drei solcher Anrufe pro Woche können das Durchschnittsbudget einer amerikanischen Familie schon empfindlich belasten, insbesondere dann, wenn durch die Verhaftung ohnehin ein Verdiener ausfällt.
    Das Telefon stellt aber, besonders für die ärmeren Gefangenen, über lange Zeiten fast die einzige Möglichkeit dar, überhaupt mit ihren Familien oder Freunden in Verbindung zu bleiben. Oft sitzen Verurteilte ihre Strafe nicht in ihrer Heimatstadt ab, sondern in einer Anstalt, die Hunderte oder Tausende Meilen entfernt liegt. Besuche sind mit aufwendigen Reisen verbunden. Viele Menschen aus den bildungsfernen Schichten in den USA können nur rudimentär schreiben und lesen: Briefe sind für sie keine Alternative. Strafgefangene haben oft ohnehin nur fragile Verbindungen zu ihren Familien, zu einem noch halbwegs intakten sozialen Umfeld. Durch die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten werden diese noch weiter beeinträchtigt. So kommt es, dass sich Mütter, Ehefrauen oder andere Angehörige verschulden, um regelmäßig Kontakt zu «ihren» Gefangenen zu halten. Manchen werden früher oder später auch einfach ihre häuslichen Telefonanschlüsse gekappt, weil sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen können.
    Das alles ist Folge eines einfachen ökonomischen Prinzips, das im Gefängnissystem paradoxe Folgen hat: Durch die Konkurrenz auf einem unfreien Markt steigen die Preise. Gefängnisverwaltungen haben heute die Möglichkeit, Verträge mit einzelnen Anbietern auszuhandeln und dabei mitzuverdienen. Wo Gefangenen und ihren Familien hohe Telefonkosten abgeknöpft werden, kassieren die Gefängnisbetreiber entsprechend hohe Provisionen. Und deshalb bekommt oft der teuerste Anbieter den Zuschlag.
    Das Federal Bureau of Prisons erwirtschaftete, so zeigt eine schon etwas ältere Studie, auf diese Weise über 20 Millionen US-Dollar allein im Jahr 2000. Mindestens zehn regionale Vollzugsbehörden verschiedener Bundesstaaten nahmen auf dieselbe Art und Weise über 10 Millionen US-Dollar ein. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass diese Erträge inzwischen zurückgegangen sind – im Gegenteil.

9
    Im FDC Miami konnte ich endlich selbst etwas tun, um meine Verteidigung vorzubereiten. Ich hatte, auf Antrag, Zugang zur law library und die Möglichkeit, dort juristische Literatur und Fallsammlungen durchzusehen. Ich las alles, was ich zum Thema extortion – also Erpressung, unserem Tatvorwurf – in die Hände bekam. Ich lernte aus dieser Lektüre, dass eine Erpressung auch nach amerikanischem Recht grundsätzlich nicht vorliegt, wenn der vermeintliche Täter seinem Opfer gegenüber einen

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