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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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drei Uhr morgens los.
    «Sachen packen» war in Atlanta ganz einfach: Da gab es nichts zu packen. Alles, was ich hier erworben hatte, musste ich sowieso zurücklassen. Immerhin würden meine Seife, mein Shampoo und meine Lebensmittel dafür sorgen, dass irgendeinem anderen Häftling die Ankunft in der Zelle erleichtert wurde. Meine letzte Post lag in einem vorfrankierten Umschlag. Ich bat meinen roommate , einen mexikanischen Landarbeiter, den Brief für mich zur Post zu geben.
    Es war nicht mein erster Flug mit Con Air, einer Fluggesellschaft, die keine andere Funktion hat, als Gefangene kreuz und quer durchs Land zu fliegen. Ein Bus brachte uns bis auf das Rollfeld des Flughafens. Dort warteten schon einige schwerbewaffnete guards, und wir mussten uns erst einmal in Reih und Glied aufstellen. Die guards trugen dick wattierte Jacken, wir aber hatten nichts am Leib außer unsere beigefarbene Häftlingshose und ein weißes T-Shirt. Es war bitterkalt, in Atlanta der kälteste Tag im Jahre 2006; die Temperatur lag deutlich unter null Grad Celsius. Nichtsdestotrotz mussten wir dort an Händen und Füßen gefesselt stillstehen, bis jeder Einzelne von uns, ganz gemächlich, noch einmal durchsucht worden war. Und bis die Gefangenen, die mit dem vollbesetzten Flugzeug angekommen waren, dieses einzeln verlassen hatten und mit ihren rasselnden Fußketten in den Bus geschlurft waren.
    Die ganze Prozedur dauerte etwa eine Dreiviertelstunde. Ich habe selten in meinem Leben so elend gefroren. Wir konnten uns ja nicht einmal bewegen, um unsere Muskeln zu wärmen. Dies war nicht nur eine der fast alltäglich gewordenen Verletzungen der Menschenwürde: der ständige Schlafentzug, die Verletzung unserer Intimsphäre, die grotesken Fesselungen, die zu großen und schmuddeligen Kleidungsstücke, die ungenügenden Möglichkeiten zur Körperpflege und all die sinnlosen Anordnungen, denen wir Folge leisten mussten. Dies war außerdem ein absichtlicher oder völlig gedankenloser Angriff auf unsere körperliche Unversehrtheit. Ich wundere mich, dass ich mir keine Lungenentzündung geholt habe.
    Dann ging es endlich los. Von innen sah das Flugzeug aus wie eine ganz normale Passagiermaschine. Als Flugbegleiter fungierten speziell ausgebildete marshals . Sie waren es, die unsere Sicherheitsgurte schließen mussten, denn wir waren ja an Händen und Füßen gefesselt. Dann wurde ein Proviant und ein Getränk in einer braunen Papiertüte ausgeteilt. Es war schwierig, diese Verpflegung trotz der an den Bauch geketteten Hände zu sich zu nehmen.
    Keiner von den Gefangenen wusste, wohin wir gebracht wurden. So fragte ich einen der begleitenden marshals nach unserem Ziel. Deutlich genervt blaffte dieser irgendetwas zurück, was ich nicht verstand. Ich hatte offenbar wieder einmal ein ungeschriebenes Gesetz verletzt. Konnte so eine Bitte um eine Auskunft möglicherweise einen terroristischen Hintergrund haben?
    Ich hatte zunächst ganz brav und naiv angenommen, dass wir nach Oakdale/Louisiana flögen. Auf dem Rollfeld und auch noch im Flugzeug war allerdings die überwiegende Meinung, es ginge nach Oklahoma, wo die zweite große Drehscheibe für Gefangenentransporte in den USA liegt. Ich fing also an, mich darauf einzurichten, die kommenden Wochen in der nächsten Zwischenstation zu verbringen. Mein Sitznachbar, ein alter Hase, klärte mich darüber auf, dass die Haftbedingungen in Oklahoma wesentlich besser seien. «Atlanta ist mit Abstand der übelste aller Federal- Knäste, die ich so kenne», erklärte er mir. Wir flogen immer geradewegs in Richtung Sonne – also nach Westen. Von Atlanta aus gesehen lag Oklahoma im Nordwesten und Oakdale im Südwesten.
    Ernste Hoffnungen auf Louisiana begann ich mir nach etwa einer Stunde zu machen, als unter uns ausgedehnte Sumpfgebiete auftauchten. Dann sah ich ein Flüsschen, wagte aber nicht zu fragen, was das war. Den Mississippi hatte ich mir größer vorgestellt. Als kurz darauf ein breiter Strom sichtbar wurde, der die Landschaft in Schlangenlinien durchteilte, war ich ziemlich sicher, den Mississippi unter mir zu sehen. Mein Sitznachbar vermutete hingegen, dass wir den Intracoastal überflögen. Ging es also zurück nach Florida? Das konnte nicht sein, und kurz darauf korrigierte er sich auch.
    Wir landeten schließlich in Alexandria, und das lag, so viel wusste ich, nicht weit von Oakdale entfernt. Was für eine Erleichterung! Später erfuhr ich, dass es zu den «Sicherheitsvorschriften» dieser Flüge

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