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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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und dem uralten Anstrich von Wänden, Decken, Betten, des Minischreibtisches in meiner Zelle und der beiden locker . Von den lackierten Metallteilen blätterte die Farbe ab. Das konnte beim Miniwaschtisch und beim Toilettenbecken allerdings nicht passieren, beides bestand aus Edelstahl. 23 Stunden am Tag waren wir hier eingeschlossen. Gemeinschaftsräume im eigentlichen Sinne gab es nicht, obwohl in der Nähe ständig und laut zwei Fernseher liefen, vermutlich für die guards . Duschen und telefonieren konnte man nur in der verbleibenden einen Stunde recreation time .
    Es war wieder wie in den ersten Tagen nach meiner Verhaftung. Ich kannte hier niemanden, verstieß dauernd gegen irgendwelche mir unbekannten Vorschriften und besaß buchstäblich nichts. Da in diesem Gefängnis ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, konnte man sich jedenfalls an der Hinterlassenschaft der Zellengenossen bedienen. Denn diese mussten bei einer Verlegung alles zurücklassen, was sie vielleicht gerade erst teuer erworben hatten. In meinem Fall wurde ein Mann namens Eugene überraschend nach Kentucky abtransportiert, und von ihm erbte ich Shampoo, Seife, ein gebrauchtes Handtuch und ein blaues T-Shirt, außerdem Zahnpasta und vier Einweg-Nassrasierer. Auch mein Zellengenosse Nestor, der bereits nach der ersten Nacht in eine andere Zelle gebracht worden war, hatte einen begehrlichen Blick auf diese Reichtümer geworfen. Er holte sich den größten Teil der Sachen aus meiner Zelle, als ich zwischen Dusche und Telefonschlange hin- und herhetzte. Ich versuchte, mich nicht zu ärgern, und bestellte mir ein paar Sachen in der commissary , in der Hoffnung, dass ich nicht lange genug hier bleiben würde, um die Auslieferung dieser Waren noch mitzuerleben.
    Nestor hat in der kurzen Zeit, in der wir eine Zelle teilten, eine ganze Menge über sich erzählt. Er war ein dicklicher Kolumbianer in meinem Alter, von Beruf Makler. Seine Straftat: Er hatte einem Kunden vier Grundstücke für insgesamt 410   000   Dollar verkauft. Dabei hatte er wohl gewusst, dass sein Käufer in Drogengeschäfte verwickelt war, den Kaufpreis also möglicherweise nicht durch ehrliche Arbeit aufgebracht hatte. Die Anklage warf ihm vor, er sei mindestens willfully blind (vorsätzlich blind) gewesen. Was Nestor aber nicht wusste: Sein Kunde hatte mit Drogengeschäften insgesamt sieben Millionen Dollar Gewinn gemacht. Und daran war der Makler nun im strafrechtlichen Sinne beteiligt. Das Zauberwort: conspiracy. Er wurde wegen Geldwäsche in dieser Höhe zu 210 Monaten Haft verurteilt. Sein Richter: William Dimitrouleas.
    Nestor hatte inzwischen sieben Jahre abgesessen und hoffte darauf, dass er auf Antrag der Staatsanwaltschaft bald in die Freiheit entlassen würde. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft? Das war meines Wissens nur möglich, wenn der Betreffende dem Ankläger jede Menge Leute ans Messer lieferte, indem er sie als snitch verpfiff oder zu Straftaten anstiftete. Nachdem ich das wusste, war ich ganz froh darüber, dass ich nicht mit Nestor, sondern vorübergehend sogar allein auf meiner Zelle saß. Um die 23 Stunden pro Tag, die ich hier ohne irgendeine sinnvolle Beschäftigung alleine eingeschlossen war, trotzdem irgendwie herumzubringen, war ich inzwischen darauf verfallen, mir meine Sudokus selbst zu basteln.
    Zu den Mahlzeiten wurden wir jeweils für etwa drei Minuten herausgelassen, mussten unser Tablett fassen und damit in die Zellen zurückkehren. Gleich an einem der ersten Tage begrüßte mich beim Frühstückholen ein Mithäftling auf Deutsch mit einem freundlichen «Guten Morgen!» Wie ich dann erfuhr, war der Mann, der in der Zelle 204 saß, ein Kollege von mir: Sam Burstyn, ein Rechtsanwalt aus Miami. Sein Name war mir aus verschiedenen glamourösen Scheidungsverfahren bekannt: Er hatte zum Beispiel Barbara Becker gegen Boris Becker vertreten und war in diesem Zusammenhang auch einmal in Hamburg gewesen.
    Ich habe mich zwei- oder dreimal während unserer Freistunde mit dem Kollegen unterhalten. Es erzählte mir, dass er fließend Jiddisch sprach und deshalb auch ein wenig Deutsch verstand. Ich fragte ihn nicht, was ihm genau vorgeworfen wurde – das tat man in dieser Situation einfach nicht. Später erfuhr ich, dass man ihn im Zusammenhang der Verteidigung von Drogenhändlern unter anderem wegen money laundering angeklagt hatte und dass er sich in einem plea bargain der obstruction of justice – der Strafvereitelung also – schuldig bekannt hatte.

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