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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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Öffnungszeiten. Da er über einen Hausdienst Zugang zur Küche hatte, gab es, welcher Luxus, in seinem «Kiosk» sogar gekühlte Getränke. Jetzt aber hatte Ronaldo Schwierigkeiten: Er ließ sich gerade seinen Rücken tätowieren und hatte dem Tätowierer als Entgelt eine goldene Halskette gegeben, für die er mal 280 US-Dollar bezahlt hatte. Das Problem: Er hatte einige Zeit zuvor schon jemand anderem zugesagt, ihm die Kette zu verkaufen. Da derjenige aber mit dem Geld bzw. dem Gegenwert nicht überkam und nach der Kette auch nicht mehr gefragt hatte, hatte er sie nun gegen eine Tätowierung eingetauscht.
    Leider war Ronaldos säumiger Kunde nicht irgendein Mitgefangener, sondern der Boss einer Gang in Oakdale. Und das wiederum war kein lokaler Häftlingsverein, sondern eine hierarchisch strukturierte Organisation mit Zweigstellen in mehreren Strafanstalten – die Anführer saßen irgendwo in Texas ein. Ronaldo war selbst einmal Mitglied dieser Organisation gewesen, dann aber, mit Genehmigung der Chefs, ausgestiegen.
    Als der lokale Boss dieser Gang mitbekam, dass «seine» Kette inzwischen den Besitzer gewechselt hatte, wurde er ungemütlich. Er erteilte Ronaldo kurz und bündig ein Geländeverbot: Mein Zellengenosse durfte sich nirgends mehr blicken lassen. Alternativ dazu bot er ihm gewissermaßen einen plea bargain an – bei Zahlung einer Geldstrafe von 280 US-Dollar sei er bereit, die Sache zu vergessen. Und nun bat Ronaldo, dem ein solches Zugeständnis gegen seine Ehre ging, ausgerechnet mich um Rat.
    Er war drauf und dran, den guards mitzuteilen, was passiert war, natürlich ohne die näheren Hintergründe zu offenbaren. Das wiederum hätte dazu geführt, dass er in den SHU gesteckt worden wäre: 24 Stunden eingeschlossen, für Wochen oder länger, mit dem Ziel einer Verlegung in eine andere Anstalt. Ich riet ihm, lieber über seinen Schatten zu springen und nochmal mit dem Boss der Gang zu verhandeln. Denn selbst wenn er hier wegkam, wusste er nicht, ob dessen Einfluss nicht auch in andere Gefängnisse hineinreichte. Ronaldo folgte meinem Rat. Sein «Gläubiger» gestattete ihm gnädig, den geforderten Betrag innerhalb von drei Monaten abzuzahlen, und Ronaldo stimmte zähneknirschend zu. Der Tätowierer konnte seine Arbeit fortsetzen und die Kette behalten.
    Vermutlich war die Auseinandersetzung, die ich da mitbekommen hatte, eher eine von der harmlosen Sorte. Die FCI Oakdale war vor wenigen Jahren von einer medium security facility zu low security heruntergestuft worden: Obwohl hier die meisten Gefangenen Haftstrafen von über zehn Jahren abzusitzen hatten, galt keiner von ihnen als gewalttätig oder gefährlich. Das Gelände war nicht mit Mauern, sondern nur mit Zäunen abgeriegelt, die uns einen weiten Blick in die Landschaft erlaubten. Und in unsere Zellen eingeschlossen wurden wir nur von 23 Uhr abends bis fünf Uhr morgens. «Wenn man denn der Meinung ist, dass es sinnvoll ist, manche Menschen wegzusperren», so schrieb ich an Freunde, «dann könnte dieses Gefängnis schon ein Modell dafür sein.»
    Aber ich erfuhr auch in der FCI Oakdale, wie brutal und zerstörerisch dieses amerikanische Strafsystem in Lebensgeschichten eingreifen kann – manchmal sogar, bevor diese richtig begonnen haben. Zum Beispiel im Falle Isaac Knapper.

    Isaac, ein großer, hellhäutiger Schwarzer, kam aus New Orleans. Zum ersten Mal war er verhaftet worden, als er 16 Jahre alt war: Er wurde verdächtigt, einen Raubmord an einem Touristen begangen zu haben. Dass er seine Unschuld beteuerte, half ihm nichts. Er bekam «lebenslänglich» und wurde ins staatliche Gefängnis von Louisiana, nach Angola , gebracht. Dort blieb er fast 14 Jahre lang, bis 1991. Kurz vor seinem 30. Geburtstag ließ man ihn frei. Es hatte sich herausgestellt, dass sein Staatsanwalt absichtlich Zeugenaussagen verschwiegen hatte, die ihn entlasteten. Ein paar Männer, die am selben Abend nur fünf Blocks entfernt einen anderen Raubüberfall begangen hatten, wurden schließlich des Mordes überführt, für den Isaac in Haft saß.
    Isaac Knapper gelang danach etwas fast Unglaubliches. Aus dem Stand startete er eine kleine Karriere als Profi-Boxer. Ein paar Jahre lang bestritt er überregionale Wettkämpfe, galt sogar als olympische Hoffnung. Aber er war natürlich zu alt, um noch wirklich zum Champion aufzusteigen. Er hatte in Angola nichts außer Boxen gelernt, er hatte seine gesamte Jugend im Knast verbracht – wen wundert es, dass er Ende

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