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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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einem der ärmsten Bundesstaaten der USA, angenehmer sein könnten als in Florida oder Georgia. Aber genau so war es. Die Ankunft dort war die freundlichste, die mir bisher zuteilgeworden war.
    Zunächst einmal waren die correctional officers freundlich. Dann waren die Baulichkeiten, die Ausstattung der Räume, die Farben an den Wänden hell und freundlich. Und auch die Lebensbedingungen hier waren deutlich freundlicher als alles, was ich bisher erlebt hatte. Ich konnte mich auf dem weitläufigen Gelände, das nicht von Mauern, sondern nur von einem hohen Zaun umgeben war, fast den ganzen Tag frei bewegen und an der frischen Luft sein. Und diese Möglichkeiten nutzte ich auch: Ich stand sehr früh auf, gegen sechs Uhr morgens, und war fast den ganzen Tag unterwegs, bis wir abends um 23 Uhr wieder in unsere Zellen geschlossen wurden. Nur eine etwas unsinnige Einschränkung war dabei zu beachten: Man durfte von einem Teil des Geländes in den nächsten immer nur zur vollen Stunde wechseln.
    Es gab eine Bibliothek, in der ich mir Bücher ausleihen und mit auf den Rec Yard oder in meine Zelle nehmen konnte. Die Auswahl war nicht schlecht, und spezielle Interessen wurden über eine Art Fernleihesystem bedient. Es gab einen großen Sportplatz und einen Musikraum mit allem, was eine Band als Grundausstattung braucht. Man konnte sich Musikinstrumente leihen. Neun verschiedene Gruppen, so erfuhr ich, machten Musik in der Federal Correctional Institution Oakdale, und ich begann meine Fühler auszustrecken, wo ich vielleicht mitspielen könnte.
    Noch vor Weihnachten kamen außerdem meine beiden Töchter und Jan Jütting zu Besuch. Endlich konnten wir uns wieder in die Arme nehmen und stundenlang miteinander sprechen, ohne durch eine Glasscheibe voneinander getrennt zu sein. So kam es, dass ich zweieinhalb Wochen lang in Oakdale keinen einzigen Brief schrieb.
    Sogar das Essen war gut, nicht nur an Weihnachten, wo jedem von uns eine ganze Poularde und eine dicke Scheibe Schinken serviert wurde. Man ging zu den Mahlzeiten in eine Art Kantine, in deren Mitte ein Salatbuffet stand. Einen Sitzplatz suchte man sich selbst aus – dachte ich jedenfalls. Nach ein paar Tagen erst fiel mir auf, dass sich Schwarze und Weiße fein säuberlich voneinander getrennt in die zwei Hälften des Speisesaals verteilten. Nur ich hatte mich nicht an die ungeschriebenen Gesetze gehalten. Einmal wurde ich freundlich gebeten, mir einen anderen Platz zu suchen, als ich mich gerade an einen Tisch setzen wollte. Später erfuhr ich, dass dies der angestammte Tisch einer bestimmten Gang war.
    Über die Macht von Gangs in amerikanischen Gefängnissen hatte ich bisher eher etwas gehört, als dass ich direkt etwas davon mitbekommen hätte. Doch hier erfuhr ich ein bisschen mehr darüber. Mein erster Zellengenosse Reginald, ein etwas mürrischer Schwarzer, mochte es nämlich überhaupt nicht, wenn ich morgens unsere Zelle verließ und die Tür offen ließ, um ihn nicht durch das laute Klappern zu wecken. Er erklärte mir, was er dagegen hatte: Er saß jetzt seit 11 Jahren in Gefängnissen, meist in medium oder high security facilities, und hatte gelernt, dass es in den Knästen Kriminelle gab, die nur darauf warteten, andere Gefangene auszunutzen: überall – auch hier – gebe es Gangs. Er wollte auf keinen Fall, dass die Tür offen stehe, wenn er schlafend im Bett lag. Hier in Oakdale sei die Lage zwar entspannt, in anderen Gefängnissen müsste man aber immer ein Messer am Körper tragen und sich mit Leuten zusammentun, denen man vertrauen könne, wenn man angegriffen werde. Aber selbst in Oakdale müsse man bestimmte Verhaltensmaßregeln zur eigenen Vorsicht beachten, und sei es nur, um sich vor Diebstählen zu schützen. Ich als «Neuer» möge genau überlegen, mit wem ich mich einlasse. Es sei in der Regel nicht gut, sich mit einer Gang einzulassen, und sei es nur mit ihrem Dunstkreis. Wenn diese Gang Probleme mit einer anderen Gang bekäme, würde man möglicherweise nicht verhindern können, in eine solche Auseinandersetzung hineingezogen zu werden.
    Von einem anderen Mitgefangenen, mit dem ich mich ein bisschen angefreundet hatte, erfuhr ich dann auch, was es bedeutet, Probleme mit einer Gang zu haben. Ronaldo war ein quirliger Latino, der alle möglichen kleinen Geschäfte betrieb. Unter anderem verkaufte er in seiner Zelle gegen Aufpreis Speisen und Getränke, die es auch in der commissary gab – bei ihm aber eben auch außerhalb der spärlichen

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