Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Er wurde zu 42 Monaten verurteilt.
In diesem Gefängnis sprach sich alles schnell herum, und so wusste ich auch schon vor meiner ersten persönlichen Begegnung, dass es hier Ratten gab. Sie kamen durch die hohen Schlitze zwischen Tür und Fußboden, durch die man Essentabletts herein- und herausschieben konnte, auch in unsere Zellen. Man schützte sich davor, indem man eine zusammengerollte Zeitung vor diese Öffnung legte. Dank Sam Burstyn besaß ich ein Exemplar des «Wall Street Journal», aber eines Abends vergaß ich, meine Tür damit zu verbarrikadieren.
Ich wachte nachts auf, weil ich ständig kleine Geräusche wahrnahm. Anfangs hoffte ich noch, dass sie aus der Nachbarzelle kamen. Aber dann war mir schnell klar, dass ich Besuch hatte. Ich fuhr hoch und legte schnell die Papierrolle vor die Tür. Das war natürlich eine Kurzschlusshandlung, denn eigentlich wollte ich, dass die Ratte aus meiner Zelle verschwand. Sie machte allerdings keinerlei Anstalten dazu, sondern nagte weiter an irgendetwas herum.
In meiner Zelle war es dunkel. Nur ein schummriger Lichtstreifen fiel vom Flur aus durch den Türschlitz auf den Fußboden, und selbstverständlich gab es keine Lampe, die ich selbst hätte anschalten können. So wusste ich nur, dass das Tier irgendwo in meiner Zelle hockte. Ich nahm die Zeitungsrolle und begann, damit auf die beiden Metallschränke und auf den Fußboden zu klopfen. Vielleicht konnte ich die Ratte damit in die Flucht schlagen. Aber die kannte solche hilflosen Manöver vermutlich schon und ließ sich nicht einschüchtern.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich lag in der Dunkelheit auf meinem schmalen Bett und dachte an dieses Tier, das irgendwo in meiner Nähe lauerte. Am Ende beschloss ich, einfach darauf zu warten, dass die Dämmerung anbrach. Wenn ein neuer Tag begann, würde die Ratte hoffentlich vor den guards fliehen, mit deren Erscheinen sie dann rechnen musste. Und so kam es auch. Von nun an vergaß ich nie mehr, den Schlitz unter meiner Tür sorgfältig mit Zeitungspapier abzudichten.
«Heute hatte ich am Telefon zum Schluss einen Kloß im Hals, das tut mir wirklich leid, Anne! Ich versichere Euch allen, dass bei mir alles in Ordnung ist», schrieb ich am selben Tag meiner Tochter, um die Kinder nicht zu beunruhigen. Aber nichts war hier in Ordnung, mal abgesehen davon, dass das Essen von passabler Qualität war. Es gab zwar eine law library und eine Art Sportplatz – aber es gab kaum eine Möglichkeit, diese Einrichtungen zu benutzen. Der sogenannte Rec Yard war nur sonntags zugänglich, und das auch nur manchmal. In der einen Stunde Aufschluss pro Tag hatte man ohnehin alle Hände voll damit zu tun, zum Telefon, zum Duschen, gegebenenfalls auch mal zu einem Krankenpfleger oder Arzt zu kommen oder seine Anwaltspost beim Counsel abzugeben. Das alles ging selbstverständlich nie ohne Warteschlange. Und dann musste man ja auch noch Wäsche fassen, denn wir durften keine zweite Garnitur in unserer Zelle aufbewahren. Alle zwei Tage konnten wir Unterhosen, Socken und T-Shirts in einem zentralen Raum wechseln, unter Aufsicht von zwei trustees . Einmal wurden die Handtücher in den Zellen ersatzlos eingesammelt – frisch gewaschene Exemplare gab es erst einen ganzen Tag später. Machte ja nichts, da an diesem Samstag sowieso für 24 Stunden Einschluss verfügt war. Man hatte ohnehin keine Chance, zum Duschen zu kommen.
Nachdem ich bereits drei Wochen in Atlanta saß, geschah doch noch ein kleines Wunder: Ich durfte während meiner sonntäglichen rec time auf den «Sportplatz», eine überdachte Halle, die nach einer Seite hin offene, vergitterte Fenster hatte. Das Wetter war schön an diesem Tag, und gierig sog ich, an die Gitterstäbe gelehnt, die frische Luft ein. «Ich habe fast eine Stunde in der Sonne gestanden! Könnt Ihr Euch das vorstellen? Es ist in gut zehn Monaten mein zweites Erlebnis dieser Art. Vielleicht geht es ja jetzt aufwärts», vermeldete ich, sobald ich in meine Zelle zurückgekehrt war, nach Hause.
23
Fünf Tage später, am 8. Dezember 2006, ging es tatsächlich aufwärts. Aufgrund von aushängenden Listen wusste ich, dass im holdover inzwischen 31 Gefangene saßen, die für Oakdale bestimmt waren. Die Order «Sachen packen» kam vormittags, direkt nach dem Frühstück. Damit war klar, dass es per Flugzeug weiterging. Für eine Fahrt mit dem Bus wurde man nämlich meistens mitten in der Nacht aus dem Bett gerissen: Es ging in der Regel zwischen zwei und
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