Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
amerikanische Kongress setzte eine Kommission ein, um die Vorfälle zu untersuchen.
Die ganz alltäglichen Arbeitsbedingungen bei Unicor sind kein Gegenstand öffentlicher Skandalisierung – obwohl auch sie dazu taugen. Die Stundenlöhne der Gefangenen liegen zwischen 30 Cent und 1,45 Dollar pro Stunde, es werden keinerlei Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Die Unicor-Angestellten aber sind verpflichtet, die Hälfte ihres «Einkommens» einzusetzen, um ihre Schulden beim Gericht abzutragen. Die amerikanische Journalistin Betty Brink, die eine Reihe preisgekrönter Artikel über die Arbeitsbedingungen der Unicor-Beschäftigten im texanischen Frauengefängnis Carswell geschrieben hat, rechnete aus, dass eine durchschnittliche Gefangene fünf bis 25 Stunden arbeiten muss, um sich eine Tube Zahnpasta leisten zu können – zu den überhöhten Preisen, die in der commissary für Körperpflege-Artikel angesetzt werden.
Weibliche Gefangene sind als Beschäftigte im neusten Geschäftssegment der Federal Prisons Industries Inc. gern gesehen: Sieben Unicor-Callcenter beschäftigen insgesamt 1500 Gefängnisinsassen, die in drei Schichten rund um die Uhr Telefondienst leisten. Die Dienstleistungszentren erledigen den Publikumsverkehr für ganz normale privatwirtschaftliche Unternehmen wie etwa den Telekommunikationskonzern Excel. Wer in den USA bei Excel anruft, weil er ein technisches Problem hat, hat gute Chancen, mit einer Strafgefangenen in der Frauen-Haftanstalt in Carswell/Texas zu sprechen.
«Stellen Sie sich vor … alle Vorteile des Outsourcings im Inland, zu Off-Shore-Preisen. Das ist das bestgehütete Geheimnis des Outsourcings!», schwärmt ein bunter Werbeprospekt von Unicor. Und er zählt noch weitere Vorteile der Gefangenenarbeit auf: Amerikanische Strafgefangene sind nicht nur billiger, sie sprechen auch besser Englisch oder Spanisch als die Kräfte, die man zum selben Zweck in Indien anheuern könnte.
Mit diesem zynischen Argument gelingt es der Federal Prisons Industries Inc. auch, die gesetzliche Regelung zu umgehen, die ihr eine Konkurrenz mit privatwirtschaftlichen Unternehmen auf dem freien Markt eigentlich verbietet: In Callcentern oder beim Computer-Recycling würden, so erklärte BOP-Chef Harry Lappin in einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongress, nicht Produkte, sondern Dienstleistungen verkauft. Und damit zerstöre man keine Arbeitsplätze in den USA, sondern mache nur noch Anbietern aus dem Ausland Konkurrenz: Menschliche Arbeitskraft ist bei der Federal Prisons Industries Inc. nämlich billiger zu haben als irgendwo in der Dritten Welt.
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Als ich meinen ersten Klavierunterricht bekam, war ich neun oder zehn Jahre alt, und natürlich begann er ganz klassisch: Ich lernte Noten lesen, spielte Tonleitern und kleine Etüden. Das hielt ich drei Jahre lang durch, bis mein Klavierlehrer plötzlich starb. Einige Zeit später bemühte sich seine Nachfolgerin darum, mir auf der Orgel in unserer Dorfkirche etwas beizubringen. Aber da hatte ich schon ganz andere Sachen im Kopf: Mein Interesse für Blues und Rhythm & Blues war erwacht. Seitdem habe ich fast immer in mindestens einer Band gespielt. Mein Instrument blieb das Piano, später kam die Gitarre dazu.
Vierzig Jahre nachdem ich begonnen hatte, mich für diese Musik zu interessieren, war ich also, durchaus nicht freiwillig, im Ursprungsland des Blues angekommen. Und dort wartete erst einmal eine Ernüchterung auf mich: Ich stellte fest, dass nicht jeder schwarze Südstaatenbewohner ein begnadeter Musiker ist, der den Rhythmus im Blut hat. Die meisten meiner Mitgefangenen, die hier Gitarre, Saxophon, Drums oder Piano spielten und sich für dieselbe Musik interessierten wie ich, waren weiße Männer in meinem Alter. Immerhin traf ich hier eine ganze Menge Anhänger des Südstaaten-Rocks, von Bands wie Lynyrd Skynyrd und den Allman Brothers . Das war in Hamburg nicht immer ganz einfach gewesen.
Es gab neun Bands in der Federal Correctional Institution Oakdale, und drei oder vier davon kamen für mich in Frage: Letztlich bestanden sie aus wechselnden Kombinationen immer derselben sieben oder acht Männer. Ich merkte schnell, dass all die Konflikte, die ich aus früheren Bands kannte, hier eine noch größere Rolle spielten als draußen. Man konnte einander ja nicht aus dem Weg gehen.
Charly zum Beispiel – Saxophon und Klavier – fand es überhaupt nicht witzig, dass ich plötzlich auf einer Probe der Beginners auftauchte: Ein
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