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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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die hinter Gitter gebracht wurden, und denen, die zu ihrer Bewachung engagiert waren, oft gering war: Beide Seiten hatten wenig Bildung auf ihrem Lebensweg mitbekommen und kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
    Ich kam damals noch nicht an Literatur zu diesem Thema heran, aber ich ahnte es bereits: Die Entwicklung der Gefängnisindustrie war eine Antwort auf eine tiefgreifende Krise der Industriegesellschaft. Hier wurde ein Teil der verarmten Bevölkerung damit beschäftigt, den anderen Teil zu kasernieren und zu bewachen. Das Problem war nur, dass in diesem System zwar gut verdient wurde, aber keinerlei Wertschöpfung stattfand.
    Mit einer Ausnahme: Die Arbeitskraft der Gefangenen lässt sich durchaus ausbeuten. In der FCI Oakdale zum Beispiel bestand die Pflicht zu arbeiten. Am beliebtesten waren die Jobs in der industriellen Fertigung, die eine Firma namens Unicor anbot: Die Arbeit in der Textilproduktion, die in einem separaten Teil des Gefängnisgeländes verrichtet wurde, war deutlich besser bezahlt als die internen Hausdienste, für die es nur ein paar Dollar im Monat gab (mehr zum Thema Arbeit im Gefängnis ab S.   179).
    Es gab lange Wartelisten für diese Jobs. Ich habe mich nie darum beworben. Stattdessen wurde ich zum Küchendienst eingeteilt. Sehr viel gab es dort nicht zu tun. Den größeren Teil meiner sechsstündigen Arbeitszeit verbrachte ich damit, darauf zu warten, dass ich Schüsseln und Töpfe annehmen und ausspülen konnte. Ich hatte aber etwas entdeckt, was mich viel mehr interessierte: Ab Anfang des Jahres begann eine Art Kurzausbildung für Gärtner. Da wollte ich unbedingt mitmachen. Es kostete mich und den Chef des education department einige Energie, die Vollzugsbürokratie dazu zu bewegen, mich von der Küchenarbeit zu befreien und dem Gärtnerkurs zuzuteilen.
    Anfangs verlief dieser Kurs aber eher enttäuschend: Wir beschäftigten uns vor allem damit, ein Lehrbuch über Gartenkultur durchzuarbeiten oder uns schwachsinnige Spielfilme anzusehen, die nicht das Geringste mit Gartenarbeit zu tun hatten. «Im Horticulture-Kurs sind wir gerade eben zum ersten Mal nach draußen gekommen», schrieb ich, endlich, Ende Februar in einem Brief nach Hause. «Es stellt sich Folgendes heraus: Anstatt immer stumpf mit unserem Buch in der Klasse zu sitzen, können und sollen wir ins Gewächshaus, um dort etwas zu lernen und eigene Aktivitäten zu entwickeln. Unser Instruktor, Mr.   Willis, hat uns keinen Ton davon gesagt.» Ich lebte eben immer noch in Absurdistan.
    Aber von dem neuen Betätigungsfeld, das sich jetzt im Treibhaus ergab, war ich begeistert. «Gemacht wird alles von Barney, der in Süd-Louisiana (Alligatoren, Fische, gutes Essen, gute Leute – sagt er) eine nursery (Gartenbetrieb) geführt/gehabt hat, und einem weiteren inmate, der als Hiwi fungiert.» Von Barney lernte ich, wie man Gummibäume aberntet und veredelt. Ich begann davon zu träumen, später einmal, auf Mallorca, einen eigenen Orangenhain anzulegen und mir ein Gewächshaus zu bauen.
    Im Vergleich zu all dem, was ich im vergangenen Jahr erlebt hatte, war meine Situation in Oakdale geradezu idyllisch. Hier konnte ich meine Besuchszeiten für einen ganzen Monat auf einen Termin zusammenlegen. Ende Januar kamen meine Kinder Anne und Jonathan. Wir saßen in einer Art Veranstaltungssaal auf Stuhlreihen beieinander. Die Besucher durften – im Gegensatz zu mir – während ihrer Anwesenheit sogar einen Imbiss aus den Snack-Boxen einnehmen, die man hier kaufen konnte. Natürlich war auch diese Situation grotesk, aber immerhin hatten wir die Möglichkeit, in Ruhe miteinander zu sprechen. Einen Monat später konnte auch meine Freundin Veronika mich endlich besuchen. Im FDC Miami hatten nur Verwandte, die meinen Namen trugen, eine Besuchserlaubnis bekommen.
    Obwohl das Leben für mich leichter wurde, vergaß ich keinen Augenblick, dass ich hier gefangen war. Und das war nach wie vor unerträglich, sobald ich das Gefühl hatte, dass die Bemühungen um meine Überstellung nach Deutschland auf der Stelle traten. Mein Antrag auf treaty transfer war zwar in die Wege geleitet, aber eigentlich gab es eine wesentlich schnellere Möglichkeit, nach Hause zu kommen: Die USA hätten mich einfach abschieben können.
    «Was läuft zurzeit an politischen Bemühungen, mich wieder in die BRD zu bekommen?», fragte ich Ende Januar in einem Brief nach Hamburg. «Ist unsere Regierung in irgendeiner Weise aktiv tätig, oder schauen alle nur zu, was die

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