Ich gegen Osborne
Vögel und die Bienen endlich in Käfige gesperrt. Chloes Gefühle für mich – oder deren Fehlen – waren für mich nun irrelevant.
»Normalerweise strebt die Natur einen Zustand möglichst geringer Energie und möglichst großer Entropie an. Und so erlangen wir ein chemisches Gleichgewicht.«
Ms. Calaways chemisches Gleichgewicht wurde mittels des großen Kaffeebechers aufrechterhalten, den sie in der Ecke ihres Tischs platzierte, wo sie während ihrer Vorlesung ständig Zugriff auf ihn hatte. Sie war untersetzt, mit langen, ergrauenden Haaren und hatte wohl schon immer ausgesehen, als wäre sie fünfzig.
»Heute machen Sie Folgendes: Sie verändern das Gleichgewicht, um Entropie herbeizuführen. Sie werden das mit Wärme machen. Was bedeutet, dass Sie Bunsenbrenner verwenden werden.«
Statt mir Notizen zu machen, schrieb ich mir eine Idee für meinen Roman auf: »Beiläufiger Hinw. auf mythologische Figur, die die Welt beherrschen kann, weil sie der einzige Mann auf dem Planeten ist, der sich nichts aus Sex macht.«
Dann fiel mir auf, dass ein stämmiger Junge mit zwei Fingern pausenlos über den Rücken des vor ihm sitzenden Mädchens rieb. Offenbar hatte sie nichts dagegen, da sie ihm den gewölbten Rücken entgegenstreckte. Weil sie eine locker sitzende Bluse trug, konnte er zwischen den Schulterblättern ihren nackten Rücken massieren. Er hörte einfach nicht auf. Schließlich arbeitete er sich mit den Fingern ihren Nacken hoch. Es war bizarr.
[66] »Jetzt müssen Sie alle an diesem Dingsdabumsda drehen, bis die Flamme blau wird…« Ms. Calaway sagte sehr oft »Dingsdabumsda«, bis ich mich für sie schämte.
Zwei Reihen vor mir sah ich durch straffen, schwarzen Stoff die Umrisse eines BH , der Stephanie Schnuck gehörte, einer munteren Blondine, deren außerschulische Aktivitäten der Stoff war, aus dem man in unserer Gegend Legenden strickte. Kurz und wohlwollend zusammengefasst: Stephanie schaffte es nicht, lange in der Vertikalen zu bleiben. Sie rutschte herum, wodurch ein schwarzer BH -Träger sichtbar wurde, der sich fest in ihre Schulter grub.
Ich war dermaßen froh, dass mich so etwas nicht mehr interessierte.
Neben Stephanie saß ein attraktives, aber hartherziges Mädchen namens Morgan, das seinen Pferdeschwanz so geschickt straff zog, wie es nur Mädchen können, dafür aber alle. Damals, als ich mich noch für Mädchen interessierte, hatte ich Pferdeschwänze gemocht.
Wie angenehm, dass ich so etwas nun ebenso distanziert betrachten konnte wie eine Statue oder einen Leichnam.
»Na gut. Jetzt teile ich jedem einen Laborpartner zu.«
Jedes Mädchen in diesem Kurs hatte heute beschlossen, Shorts anzuziehen. Einige schlugen die Beine übereinander, andere nicht.
»Brian, Sie und Christina bilden ein Team.«
Jetzt wickelte Stephanie ihr Kaugummi um den Zeigefinger. Der korpulente Junge massierte das Mädchen inzwischen beidhändig. Und hatte das eine Mädchen tatsächlich einen BH an, der ihre Brustwarzen freiließ? Gab es so etwas überhaupt?
[67] »Michael, Sie arbeiten mit Sam.«
Ein Redneck spie einem Mädchen auf den Rücken ihrer Bluse, wie das unreife Schüler manchmal machen – sie pressen einen dünnen Speichelfaden aus einer Zahnlücke.
»James, Sie und Stephanie bilden ein Team.«
8 . 44 Ich betrachtete den hinteren Teil ihres mit störrischen blonden Locken bewachsenen Kopfes, die sich in alle möglichen Richtungen schlängelten. Wie brachten Mädchen ihre Haare nur dazu, solche erstaunlichen Dinge zu tun? Doch dicht unter diesem reizenden blonden Schopf, durch ihren offenen Schädel sah ich es: Cameron Diaz lutschte Pommes, während ein stöhnender David Letterman sich wundrieb und die hinterhältigen Schlangen von N-Sync mit ihren präzise choreographierten phallischen Manövern protzten, während die Backstreet Boys neidisch zusahen und sich hektisch neue Spreizschritte überlegten. Puff Daddy, der sich dazu bei Hall and Oates bediente, dirigierte die Musik, zu der alle die Becken kreisen ließen. Alle diese vielen sich windenden Körper befanden sich an Deck der untergehenden Titanic.
Man sollte meinen, dass Stephanie sich umgedreht und mich angelächelt oder mich wenigstens angesehen hätte, als Bestätigung, dass wir zusammenarbeiteten. Doch sie saß einfach nur da, dachte vermutlich daran, wie lästig es war, bekleidet zu sein. Stephanie wusste wahrscheinlich gar nicht, wer ich war, weil sie keine Menschen kannte; sie kannte nur Körper, und mein
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