Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
Vom Netzwerk:
Körper war es nicht wert, dass man ihn kannte. Aber ich wusste, wer sie war. Jeder wusste, wer Stephanie Schnuck war, und die Erwähnung ihres [68]  Namens wurde gewöhnlich von einem wissenden Grinsen begleitet.
    Angeblich hatte sie einmal einen Jungen während des Unterrichts befriedigt, als gerade ein Film (ich glaube, es war Gandhi ) gezeigt wurde. In Sachen Fortpflanzungsakt waren ihre gewagteren Schauplätze die im Kunstunterricht für Fotografie verwendete Dunkelkammer und das im Landwirtschaftsunterricht benutzte Gewächshaus. Ich hatte Gerüchte über Dreier, Vierer und eine angebliche Abtreibung gehört.
    »Es muss nur jeweils ein Satz Antworten abgegeben werden, aber beide Namen sollten draufstehen. Am Ende des Unterrichts besprechen wir Ihre Resultate.«
    In meinem Magen bildete sich eine Blase. Ich wollte nicht mit Stephanie im Team sein. Zugegeben, ich kannte sie gar nicht und hatte bisher vielleicht sechs Worte mit ihr gewechselt, doch man sah ihr förmlich an, dass sie Ärger bedeutete. Außerdem wusste ich, dass sie mit Morgan befreundet war, der Pferdeschwanzträgerin, die einmal gesagt hatte, sie wisse nicht, »warum dieser James sich immer so schick anzieht, schließlich ist er doch nicht reich«, was ich zufällig mitgehört hatte. Ich stellte mir vor, wie ich die ganze Laborarbeit machte, während Stephanie verschwand, um mit irgendeinem frettchenäugigen Höhlenmenschen zu flirten. Es gab auch die Möglichkeit, dass wir beide uns auf Anhieb gut verstanden, doch ich verstand mich kaum einmal mit jemandem spontan gut.
    »In Ordnung. An die Arbeit. Ich werde vorbeikommen und kontrollieren, was Sie so treiben.«
    Dann sprangen alle von ihren Sitzen. Offenbar wusste [69]  Stephanie doch, wer ich war, weil sie sofort auf mich zukam. Ich konnte unmöglich ihre Brüste übersehen, die zwar nicht gewaltig, aber ganz gewiss auch nicht klein waren, und sie zeigte ein wenig Dekolleté. Ich rief mir in Erinnerung, dass ich durchaus hinsehen durfte, denn durch die Augen eines Asexuellen war Stephanie einem Gemälde vergleichbar, das ich bewundern durfte, und es war klar, welche Schwerpunkte der Künstler gesetzt hatte.
    »Hey«, sagte sie lächelnd. Vielleicht war das eine Projektion meinerseits, doch ihr Mund schien etwas Vulgäres zu haben, er wirkte so einladend wie die Neonschilder in Kneipenfenstern.
    »Wie geht’s dir so?«
    Sie lachte. »Gut. Wie geht’s dir ?«
    »Gut, danke der Nachfrage.«
    Auch wenn wir noch nie miteinander gesprochen hatten, waren wir doch im Vorjahr beide im selben Mathekurs gewesen, daher brauchte ich mich nicht in aller Form vorzustellen. Ein Händeschütteln kam nicht in Frage, da man mir beigebracht hatte, dabei müsse die Initiative von der Frau ausgehen, was hier nicht der Fall war.
    »Ist dir klar, was wir machen sollen?«, fragte sie.
    »Eigentlich nicht, nein.«
    Sie lachte. »Mir auch nicht. Wir improvisieren.«
    Das sah doch gar nicht so übel aus. Andererseits musste sie ja umgänglich sein, oder?
    Ich folgte ihr zu den Laborkitteln, wo sie sich zu meiner Erleichterung vorne wie hinten bedeckte, doch irgendwie sah sie in einem Kittel sogar noch betörender aus. »Ich hol die Reagenzgläser und den restlichen Kram«, sagte sie.
    [70]  »Danke. Und ich hole die Lösungen.«
    Einer Vitrine entnahm ich die Flaschen mit der Aufschrift Jod, destilliertes Wasser etc. und wählte den Arbeitsplatz gegenüber von Timothy und seiner Partnerin, einem Mädchen in einem Korn-T-Shirt. Ich beobachtete Stephanie, während sie die Bechergläser und Reagenzgläser holte.
    Sie war ein perfektes Beispiel für meine These, dass das Aussehen das Schicksal bestimmt. Sah man sich ihr hübsches Gesicht mit den niedlichen Apfelbäckchen und den vollen, glänzenden Lippen an, von ihrer Figur ganz zu schweigen, begriff man, wie das Leben ihr den Weg wies, den sie eingeschlagen hatte. Wäre sie ein unscheinbares Mädchen mit vorstehenden Zähnen und dem Körperbau einer ältlichen Krankenschwester gewesen, wäre sie wohl kaum die Dorfmatratze geworden. Doch bei ihrem Aussehen gab es kaum eine Möglichkeit, nicht zur – ganz offen gesagt – Klassenschlampe zu werden. Anders formuliert, ihre Chancen standen besser, eine Schlampe zu werden, als keine Schlampe zu werden.
    8 . 49   Was mein Aussehen anging – ich sah nicht gut aus, trotz gegenteiliger Versicherungen meiner Mutter. (»Diese langen Wimpern!«, sagte sie immer bewundernd.) Doch was mir an gutem Aussehen fehlte, half mit, mich

Weitere Kostenlose Bücher