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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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zu dem zu machen, der ich war, da mir genau bewusst war, dass einen die Leute nicht so gut behandeln, wenn man nicht attraktiv ist. Dass ich nicht gut aussah, lag an meinen länglichen Gesichtszügen, der hautarztsicheren Akne und meiner Körpergröße (ein Meter dreiundneunzig), was kein Vorteil war, da ich fast, aber nicht ganz klapperdürr war, [71]  obwohl es vermutlich allein meiner Größe gepaart mit meinem Humor zuzuschreiben war, dass ich nicht gemobbt wurde. Ein älterer Mensch hätte über mich vielleicht gesagt: »Dir fehlt halt noch ein wenig Fleisch auf den Knochen.« Ich hatte etwas Linkisch-Schlaksiges, wodurch ich, wie ich fand, einer Vogelscheuche ähnelte. Wenn sich dieser Vogelscheuchenmann setzte, schlug er die Beine übereinander, und wenn er stand, stand er kerzengerade da, als hätte er einen Besen als Rückgrat, und den Kopf hielt er buchstäblich hoch erhoben.
    Mein Gesicht sah aus, als wäre es auf den letzten Drücker zusammengeschustert worden. Mein Auftreten wechselte zwischen düster und amüsiert, Letzteres bewirkt durch die idiotischen Ereignisse um mich herum. Wie Mr.   Runnels hatte ich einen verschleierten Blick. Ich sah aus wie jemand, der nicht gut schlief, und so war es auch.
    Im Jahr zuvor hatte ich angefangen, die Haare so zu tragen wie ein Schauspieler, den ich in einem alten Film gesehen hatte, in dem Bette Davis an einem Hirntumor stirbt. Sie waren nach hinten gekämmt, von ein, zwei Locken vorne abgesehen, die mir unruhig in die Stirn hingen. Wenn ich bei schummrigem Licht die Haare so trug, sah ich womöglich wenigstens interessant aus. Gut aussehen: keine Chance! Aber vermutlich konnte ich als interessant durchgehen.
    Wenn ein Seufzer menschliche Form annehmen könnte, würde er wohl wie ich mit siebzehn aussehen.
    8 . 50   Stephanie zog es offensichtlich vor, andere Dinge als mich anzusehen. Wie ein kleiner blonder Wirbelwind war sie zugange, kippte Jodkristalle in ein Becherglas, das sie [72]  über einem metallenen Ständer festklemmte. Ich schämte mich, dass ich sie für eine schlechte Schülerin gehalten hatte.
    »Kann ich auch irgendwas machen?«, fragte ich lahm.
    »Ich glaub nicht. Na ja, du könntest den Bunsenbrenner in Gang setzen.« Jetzt bereute ich, sie gefragt zu haben. Ich ärgerte mich, dass wir wegen dieser albernen Experimente unter Umständen gefährliche Dinge tun sollten. »Und, was hast du im Spring Break so gemacht?«, fragte sie, während ich linkisch einen Gummischlauch mit dem Brenner verband.
    »Och, dasselbe wie immer. Hauptsächlich hab ich versucht, nicht zu kotzen.«
    Sie lachte. Ich konnte sie so leicht zum Lachen bringen, weil ich jetzt asexuell war und mich von ihrem unfassbar sinnlichen Teenagerkörper nicht einschüchtern ließ.
    »Warst du krank?«
    »Nein. Mich ekelt generell alles. Warst du in Panama City Beach?«
    »Nein«, sagte sie. »Ich musste arbeiten. Mein Spring Break war ätzend.«
    »Wo hast du gearbeitet?«
    »Bei Orange Julius im Einkaufszentrum. Du bist also nicht verreist?«
    »Nein. Ich bin fast die ganze Zeit zu Hause gewesen.«
    »Nichts dagegen zu sagen. Ich bin am liebsten zu Hause.« Ich lächelte irritiert. Sie steckte voller Überraschungen. Und ihr Südstaatenakzent hatte etwas Berauschendes. Ich hatte mir meinen Südstaatenakzent abgewöhnt. In der Zeitung hatte ich mal von einem hiesigen [73]  Nachrichtensprecher gelesen, der sagte, ein guter Nachrichtensprecher solle überhaupt keinen Dialekt haben, sondern sich anhören, als könne er von überall sein. Das gefiel mir, und ich hatte es geschafft, seit ich Osborne besuchte, meinen eigenen Dialekt komplett zu eliminieren.
    Ich setzte meine Schutzbrille auf, und meine langen Wimpern drückten gegen die Gläser. Beim ersten Versuch gelang es mir, ein Streichholz anzuzünden. Dann drehte ich am Gasknopf und hielt das Streichholz äußerst vorsichtig über den Brenner. Dankbar nahm ich wahr, dass die blaue Flamme emporloderte. Als ich mich umschaute, sah ich, dass sich offenbar keiner außer mir etwas dabei dachte, mit Gas und Feuer zu hantieren.
    »Mal sehen«, sagte Stephanie mit einem Blick in ihr Lehrbuch. »Jetzt sollen wir die Kristalle zwei Minuten lang erhitzen.« Sie schob den Ständer und das Becherglas mit den Kristallen über die Flamme. Während wir zusahen, wie die Flamme die Kristalle schmolz, sagte mir mein Bauch, dass ich noch etwas anderes machen wollte.
    »Ich bin echt froh, dass wir das machen«, sagte ich. »Es ist wohl noch kein Tag

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