Ich gegen Osborne
sicherzugehen, dass ihre Hintern bedeckt waren. Als ich noch in die Kirche ging, fiel mir auf, dass viele Leute so etwas machten, denn bei katholischen Messen muss man sich ständig hinsetzen und wieder aufstehen, und es schien die weitverbreitete Auffassung zu geben, dass alle Leute im Leben nichts anderes tun, als einander auf die Ärsche zu glotzen, was im Großen und Ganzen auch stimmte.
8 . 33 »Also gut. Nehmt eure Bücher heraus, wir werfen einen Blick auf Kapitel vierzehn. Seite 312.«
»Welche Seite?«, fragte jemand.
»312.«
Jeder tat wie geheißen, doch wie üblich glaubten einige Schüler beim Herausholen der Bücher, jetzt sei es Zeit zu reden. »Es herrscht Ruhe, und zwar sofort «, rief Ms. Calaway. »In Kürze teile ich Sie alle in Paare ein und lasse…«
Mist! Warum stellten Lehrer uns so gern zu Paaren zusammen? Wenn nicht Paare, dann war Gruppenarbeit angesagt. Bestimmt glaubten sie, das würde uns auf das Erwachsenenleben vorbereiten, da jeder zukünftige Beruf Teamwork erforderte (außer meinem, da ich Schriftsteller [63] werden würde). Doch in meinen Augen lehrte uns Gruppenarbeit nur, wie unzuverlässig Menschen waren.
»Heute erfahren wir etwas über Entropie, und Entropie ist wichtig, weil es die treibende Kraft hinter allem ist, hinter jeder chemischen Reaktion, hinter allem in der Natur. Schlagen Sie die Seite 312 auf, dort werden Sie sehen…«
Wie erwähnt, beteiligte ich mich in Chemie selten am Unterricht. Was wahrscheinlich daran lag, dass Ms. Calaway ohne Luft zu holen sechsundfünfzig Minuten am Stück reden konnte. Das ist meine Lieblingsunterrichtsmethode, weil ich nicht befürchten musste, aufgerufen zu werden oder sonst etwas tun zu müssen, außer mir Notizen zu machen und meine Mimik zu steuern.
»…schon mal gefragt, warum Eis schmilzt? Das liegt an der Entropie. Je wärmer das Eis wird, desto schneller bewegen sich die Moleküle, und je schneller sich die Moleküle bewegen, desto ungeordneter werden sie. Entropie sorgt dafür, dass alles zusammenbricht…«
Im Unterricht fühlte ich mich ungefähr so wie im Sprechzimmer eines Arztes, während man auf der Liege mit dem weißen Bogen Papier sitzt und den Arzt mit seinem Klemmbrett auf der anderen Seite der Tür hört, und man hat so ein intensives Gefühl gespannter Erwartung, dass sich die Tür öffnet, nur dass bei mir dieses Gefühl während der ganzen Unterrichtsstunde anhielt, sogar in den Kursen, die ich mochte. Ich fand, dass alles zu dicht beisammen war. Die Räume kamen mir zu klein vor, und doch konnte in diesem begrenzten Raum so viel schiefgehen.
»…eine andere klassische Erklärung lautet wie folgt. Stellt euch vor, wie leicht ein Schlafzimmer zugemüllt wird. [64] Nun, das liegt daran, dass es mehr Möglichkeiten gibt, wie es zugemüllt werden kann, als Möglichkeiten, wie es aufgeräumt und ordentlich bleibt. So funktioniert Entropie. Dinge haben mehr Möglichkeiten, zu zerfallen und durcheinanderzugeraten, als eine Ordnung beizubehalten.«
Ich stellte mir vor, wie ich in meinem Bett lag und nur eine Spur Tageslicht durch die schweren Vorhänge drang. Der Luftreiniger gab ein einschläferndes Summen von sich. Cha-Cha, der Boston Terrier, den ich seit meinem zehnten Lebensjahr hatte, lag zusammengerollt neben mir. Ich sehnte mich nach meinem Bett.
Um Entropie noch etwas anschaulicher zu machen, ließ Ms. Calaway eine Hand voll Centstücke auf ihr Pult fallen, doch da mir so viel durch den Kopf ging, hatte ich Schwierigkeiten aufzupassen. Außerdem wurde ich allmählich nervös, weil in der nächsten Stunde meine Textkritik anstand. Ich sah aus dem Fenster und versuchte, an etwas anderes zu denken. Ich konnte den Circle-K-Supermarkt sehen. Ich fand es komisch, dass im Circle K alles seinen gewohnten Gang ging. Während wir uns durch den Schultag quälten, ging draußen das Leben weiter. (Zigaretten, Bier, Lotterielose und Pornozeitschriften wurden verkauft.) Das fand ich ungerecht, denn meiner Meinung nach hätte draußen alles anhalten sollen, während wir hier drinnen litten. Die Leute im Circle K hatten ja keine Ahnung, wie gut es ihnen ging.
8 . 39 Ich nahm mir vor, mich zu entspannen und die Asexualität zu genießen. Letztes Jahr in Deutsch I erzählte uns der Lehrer von Loreley, einer Jungfrau aus der deutschen [65] Sagenwelt, deren unwiderstehliche Schönheit die Schiffer in den Tod lockte. Ich war jetzt gegen Loreleys Verlockungen gefeit. Was mich betraf, hatte man die
Weitere Kostenlose Bücher