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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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wenn er überhaupt etwas sagte.
    »Wie waren deine Ferien?«
    »Prima.«
    »Meine waren schauderhaft.« Er nickte und lächelte ängstlich. Jetzt musste ich meine Bekanntmachung behutsam vorbereiten. »Ich bin’s leid, dass die Leute dauernd über den Ball reden. Du nicht auch?«
    »Doch.«
    »Gehst du hin?«
    »Weiß nicht.«
    [57]  »Ich verzichte. Da geht’s um nichts weiter als um Ausschweifungen, und doch dreht sich ihr ganzes Leben darum. Es ist das wichtigste Ereignis ihres Lebens. Sie haben nur eine Sorge auf der Welt, nämlich für den Ballabend alles perfekt zu machen. Und wenn es um Dinge wie den Ball geht, würde keiner von ihnen hingehen wollen, wenn man ihnen nicht gesagt hätte, dass von ihnen erwartet würde, dass sie es wollen. Ergibt das einen Sinn?«
    »Ja.«
    »Ich hab etwas gelesen – von Thornton Wilder, glaube ich –, in dem ein ähnlicher Satz steht, nur dass es um Liebe ging, dass niemand sich verlieben würde, wenn er nicht davon gehört hätte oder so ähnlich. So fühle ich mich bei fast allem. Dem Abschlussball, Mädchen, bei allem. Ist schon erstaunlich, was wir uns zumuten.«
    Timothy nickte. Er nahm nie Blickkontakt auf, etwas, das mir besser gelang, je älter ich wurde, wie mir während des Spring Breaks aufgefallen war.
    Eine seltsame Stimme unterbrach uns. »Kann mir einer von euch einen Kuli oder Bleistift borgen?«
    »Ich habe einen«, antwortete ich. »Ich werd ihn dir aber nicht leihen, damit du verantwortungsbewusster wirst.«
    »Leck mich an meinem weißen Arsch, James.« Die seltsame, weinerliche Stimme gehörte Patrick Pippin, und so ein Wortwechsel war typisch für uns. Ich kam mit jedem gut klar – jedenfalls oberflächlich betrachtet –, machte aber aus meiner Abneigung gegen Patrick keinen Hehl, und dafür gab es gute Gründe.
    Im Allgemeinen bewunderte ich die als Loser bekannte Sekte gesellschaftlicher Außenseiter und hatte mich [58]  manchmal selbst im Verdacht, einer zu sein. Aber Pippins Losertum hatte geradezu groteske Ausmaße angenommen, so dass er mir nicht mehr leidtat, sondern ich mich fragte, warum er sich morgens überhaupt noch aus dem Bett quälte. Um nur einige der Glanzpunkte zu erwähnen, die er sich auf Osborne geleistet hatte: Er war so gierig nach Aufmerksamkeit, dass er anbot, eine, wie er es nannte »Video-Hommage« über die Cheerleaderinnen zu drehen, weil er ihre Nähe suchte; nachdem er vergeblich versucht hatte, in der Golfmannschaft aufgenommen zu werden, drohte er damit, die Schule zu verklagen, die ihn wegen seines Übergewichts diskriminiert habe, dabei hatte er tatsächlich noch nie im Leben Golf gespielt; einmal weinte er, weil er während des Unterrichts einen fahren ließ, und obwohl ich genau wusste, dass er nie über die Stränge schlug, fragte er ständig Leute, ob sie Marihuana hätten. Wenn mich die Schwermut packte, tröstete ich mich mit dem Satz: »Tja, wenigstens bin ich nicht Patrick Pippin.«
    Pippin war einmal das neue Gesicht gewesen. Am ersten Tag der zehnten Klasse, frisch aus West Virginia eingetroffen, stolperte er in der dritten Stunde in meinen Astronomiekurs, an den Füßen etwas, das wie Schuhe für ältere Frauen aussah, und mit seinem hässlichen Rattenschwanz, der ihm am Nacken baumelte und später ohne Vorwarnung von einem im Kurs hinter ihm sitzenden Jungen abgeschnitten wurde. Weil er ein so erkennbar hoffnungsloser Fall war, stellte ich mich vor und versuchte, ihm das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Noch am selben Tag setzte er sich beim Mittagessen neben mich. Doch trotz aller Widrigkeiten schloss er später mit einigen Leuten [59]  Freundschaft und machte sich bei erstbester Gelegenheit über mich lustig. Er wies den ganzen Kurs darauf hin, dass mein Gesicht rot anlief, während ich ein Referat hielt. Dieses erste Vergehen ließ ich ungeahndet, doch es folgte die Episode, wo er und einer seiner niederträchtigen Kumpel mir einredeten, dass mich irgendein Mädchen mochte, woraufhin ich mich ihr beinahe näherte, ehe ich die Wahrheit herausfand. Wenn Pippin mich seither auch nur ein wenig kränkte, sagte ich ihm auf den Kopf zu, was ich von ihm hielt.
    Doch es gab bei mir immer noch Reste von Freundlichkeit. Ich zog einen Reservekuli aus meiner Hemdtasche. »Hier, Patrick. Steck ihn bloß nicht in deinen schmutzigen Mund.«
    Er drehte sich um und sah, dass ich ihm den Kuli hinhielt. Der Kragen seines T-Shirts war ausgeleiert, so dass man ein Stück seines Schlüsselbeins sah. Er hatte

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