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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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schon zweimal gemacht hatte. Meist litt ich vor der Schule an einem nervösen Magen, doch angesichts des ganz besonderen Grauens dieses bestimmten Tages ließ mich das Klosett heute nicht in Ruhe.
    Es nahm kein Ende. Ich sagte mir, dass ich von nun an immer für die Phasen dankbar sein würde, in denen mein Magen nicht in diesem Zustand war. Wenn man bedachte, dass ich es den größten Teil meines Lebens so gut hatte, dass sich mein Magen nicht so anfühlte, und ich das für selbstverständlich hielt. Das war typisch Mensch.
    Ich spülte erneut nach und las die Inschriften, die meine Vorgänger in dieser Klokabine hinterlassen hatten: »Scheißschule.« – »Vergiss die Schule. Hab Sex.« – »Jenny Livermore fickt mit dir.« Ich hatte noch nie von ihr gehört, [86]  wahrscheinlich war das vor zwanzig Jahren geschrieben worden, und das war der einzige Hinweis darauf, dass sie je hier war.
    Nach der dritten Spülung musste ich mich dem Toilettenpapier widmen, das die Konsistenz einer Zeitung hatte und sich nicht ordnungsgemäß abrollen ließ.
    Schließlich zog ich mein Jackett wieder an, erleichtert darüber, dass während eines so ekligen Geschäfts niemand eingetreten war, und begab mich zum Waschbecken, wo ich mir gründlich die Hände wusch und mit einem bräunlichen Papiertuch den Schweiß vom Gesicht wischte. Ich ließ kaltes Wasser über die verbrannten Fingerspitzen laufen, was für ein wenig Linderung sorgte. Dann betrachtete ich mich prüfend und fragte: »Sehe ich wie ein Mensch aus, der soeben an heftigem Durchfall gelitten hat?« Ich stellte mir vor, wie alle glotzten und lächelten, wenn ich den Kursraum betrat, weil sie irgendwie genau wussten, was ich gerade getan hatte.
    Bei dem gleißend hellen Licht konnte ich die winzigen schwarzen Mitesser auf meiner Nase sehen. Eiter aus den Mitessern zu holen war meiner Ansicht nach eine der angenehmeren Tätigkeiten, denen sich ein Mann hingeben konnte. Ich hielt den Kopf dicht vor den Spiegel und überlegte, ob ich auf der Stelle ein paar von ihnen operieren sollte, beschloss aber, Stephanie nicht die ganze Arbeit machen zu lassen.
    Als ich mich zur Tür wandte, wurde sie aufgestoßen. Herein spazierte ein mir unbekannter Junge, ein Schlägertyp in einem nicht zugeknöpften Baseballtrikot der Philadelphia Phillies und besonders schlabbrigen Jeans. Etwas [87]  auf seiner Oberlippe wollte irgendwann mal ein Schnurrbart werden.
    »Yo, Kumpel, tust du mir ’n Gefallen?«
    »Kommt drauf an.«
    »Stehst du an der Tür für mich Wache?«
    »Warum?«
    »Weil ich nicht will, dass sie mich wegen Rauchen drankriegen«, antwortete er rotzig. Er verlangte von mir – einem völlig Fremden, wohlbemerkt –, ihm einen Gefallen zu tun, redete aber mit mir, als stünde er kurz davor, mich offen zu beleidigen. »Dauert keine Minute.«
    Zahlreiche mögliche Reaktionen schossen mir durch den Kopf: Warum? Warum sollte ich das für jemanden tun, den ich gar nicht kannte? Warum erwartete man so etwas überhaupt von mir? Ich selbst hätte nicht im Traum daran gedacht, einen völlig Fremden in so eine Lage zu bringen.
    »Na los, Kumpel. Bleib einfach in der Tür stehen, und wenn du einen Lehrer kommen siehst, rufst du ›Blasrohr ‹ .«
    »Blasrohr« war ein Slangbegriff, der sich auf jene für Jungs wie Mädchen gleichermaßen faszinierende orale Aktivität bezog. Keine Ahnung, wer sich den Begriff ausgedacht hatte – typischer Osborne-High-Jargon. Niemand außerhalb Vandalias hatte ihn jemals gehört. Ich fand das amüsant; »Blasrohr« war das einzig Originelle, was Osborne der Welt zu bieten hatte. »Dein Codewort ist Blasrohr ?«
    »Genau.«
    »Es klänge aber unnatürlich, wenn jemand aus heiterem Himmel einfach Blasrohr rufen würde.«
    »Das stimmt.« Er verdrehte die Augen. »Mir egal, was [88]  du schreist. Lass mich bloß wissen, wenn jemand kommt.« Er hatte schon eine Zigarette im Mund.
    »Tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen.« Als ich mich umdrehte und ging, sagte der Junge: »Fick dich doch, Motherfucker«, dann hörte ich das Klicken des Feuerzeugs.
    Unfassbar, dachte ich. In seinen Augen hatte ich unrecht.
    Auf meinem Rückweg durch den Flur ließ ich immer wieder die Begegnung auf der Toilette in meinem Kopf ablaufen. Warum hatte ich gesagt, es täte mir leid? Das machte ich immer.
    Dann wurde mir klar, warum er von mir erwartet hatte, seiner Anweisung Folge zu leisten: In den zwei Sekunden zwischen dem Moment, als er mich sah, und dem Moment, als

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