Ich gegen Osborne
gefallen. Mein Lieblingszitat steht auf der ersten Seite… In Woolworths Vorstellung von der Zukunft glich die amerikanische Landschaft Hugh Hefners verfaulendem Penis.« Auf »Penis« folgte lautes Gelächter.
»Um Williams Kommentar zu ergänzen«, sagte Lauren, die designierte Ballkönigin, »mir hat auf derselben Seite gefallen, wo er von Madonnas verfaulenden Brüsten spricht. [128] Ich find’s cool, wie er hier und da die Namen von Promis einfließen lässt. Das weckt die Aufmerksamkeit des Lesers.«
Mich störte es, wenn Leute Bemerkungen anderer Leute »ergänzen«, aber vielleicht war Lauren doch nicht so übel. Nach ihrem Kommentar gab es die nächste peinliche Pause. An der Stelle beschlich mich das schreckliche Gefühl, dass kein anderer meinen Text gelesen hatte. Ich nahm an, dass Chloe auf dem Parkplatz die Wahrheit gesagt hatte, als sie behauptete, ihn gelesen zu haben, aber offenbar wollte sie kein Wort sagen, sondern schaute nur bekümmert auf das Poster von Einstein, auf dem er die Zunge herausstreckte.
»Na los. Was hat euch sonst noch an James’ Text gefallen?«
Keine Antwort. Haley schaute mir direkt in die Augen; sie sah aus, als wollte sie auf mich losgehen, wie schon einige Male seit Beginn der Textkritik.
Als das Schweigen andauerte, wurde die Lage immer peinlicher. Ein Problem bestand darin, dass die klügsten Leute in dem Kurs auch die stillsten waren. Beispielsweise wusste ich, dass einem gewissen Jonathan, der obskure Sci-Fi mochte, mein Text gefiel, er aber so schüchtern war, dass er nie ein Wort sagte, außer er wurde dazu gezwungen, vielleicht weil er fürchtete, wenn er etwas sagte, würde sich irgendwer bemüßigt fühlen, seinen unglückseligen Spitznamen zu rufen, »Vaginathan«. Slim rief ihn auf.
»Mir hat gefallen, dass Woolworth ein echtes Individuum ist«, sagte Jonathan. »Er isoliert sich freiwillig von der Gesellschaft. Ich glaube, darum geht es bei den [129] Handschuhen und dem Helm. Er schützt seinen Verstand mit dem Helm, und er will buchstäblich niemanden berühren.«
»Für mich bedeuteten Helm und Handschuhe, dass er sich vor dem Leben fürchtet «, sagte Summer.
»Wollten Sie sonst noch etwas sagen, Jonathan?«
»Nein.« Es folgte die nächste Pause.
»Melanie? Was denken Sie?«
»Tut mir leid. Ich hab’s nicht gelesen.«
Slim seufzte schwer. »Lucas?«
»Mir tut es auch leid. Ich hab’s auch nicht gelesen.«
»Die verteilten Texte zu lesen ist nicht freigestellt. Und James hat für Sie alle immer Kommentare vorbereitet.« Ich wünschte, er hätte sich das verkniffen. »Also, ich verlange eine Wortmeldung.«
»Es hat einen guten Fluss«, sagte Lauren, die diesen Kommentar mindestens einmal pro Kursstunde machte.
»Wir wollen mal jemanden hören, der sich heute noch nicht beteiligt hat. Chloe?«
Aufgeschreckt drehte Chloe den Kopf Richtung Slim. »Oh – ich… ich halte James für einen enorm begabten Schriftsteller.«
»Danke«, sagte ich.
»Hat Ihnen an dem Text etwas besonders gut gefallen?«, fragte Slim.
»Er regt zum Nachdenken an.« Normalerweise fand sie kein Ende, weil es sie nervös machte, vor dem ganzen Kurs zu reden. Doch heute war sie auf der Hut.
»Woran denken Sie dabei?«
»An Moral. Das ist meiner Ansicht nach das zentrale Thema.«
[130] »Weshalb halten Sie Moral für ein Thema?«
»Nun, ich glaube, er untersucht Moral contra Unmoral, und was davon was ist oder – ich weiß es wirklich nicht.«
»Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie sich das Thema Moral darstellt?«
»Ich nehme an –«, begann sie, brach aber ab und blätterte die Seiten durch. »Ich weiß es nicht. Würden Sie bitte jemand anderen drannehmen?«
Das sah Chloe gar nicht ähnlich. Zum Glück nickte Slim und ließ sie in Ruhe. »Malik?«
Malik und sein Afro richteten sich langsam aus einer zusammengesackten Position auf. »Mir hat gefallen, wie der Typ aus der Kirche geschmissen wurde, denn wenn man’s recht bedenkt, ist das schon mal total übel.«
Wir alle lachten, außer Chloe, die nicht aufschaute.
»Würden Sie alle Woolworth als Rebellen bezeichnen?«
»Ich finde, man könnte es umgekehrte Rebellion nennen«, sagte das kluge Mädchen neben Chloe, »weil er gegen die Dinge rebelliert, die die meisten Menschen rebellisch nennen würden.«
»Auf seine eigene Art ist er rebellisch, aber manchmal schlägt er sich halt auf die Seite des Establishments«, sagte der Hipster. Gerade wollte ich ihm sagen, wie falsch er lag, als
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