Ich gegen Osborne
Beitrag in einer Debatte zu leisten.
»Ich habe es so interpretiert«, sagte Ballkönigin Lauren, »dass Woolworth in dieser Geschichte sozusagen die einzige Figur ist, die sich diese Krankheit nicht einfängt, weil er als Einziger keinen Sex hat.«
Das brachte das Was-würde-Jesus-tun?-Mädchen dazu, sich einzuschalten: »Ich fand, der ganze Text hat einen puritanischen Unterton. Keine Ahnung, ob das beabsichtigt ist oder nicht.«
[137] »Noch einmal«, sagte Lauren, »ich weiß, dass ein Unterschied besteht zwischen der Figur und James, deshalb beschuldige ich nicht James persönlich, aber die in diesem Text herrschende Atmosphäre läuft darauf hinaus, dass – sie stellt Sex als etwas so Negatives dar, was ich irgendwie unerträglich fand, weil Sex meiner Meinung nach etwas Wunderschönes und –«
Ich konnte es nicht ändern, aber mir entfuhr unwillkürlich ein lautes, verächtliches Lachen. Es glich mehr einem Schnauben, bei dem ich mir vorsichtshalber die Nase zuhielt und schniefte. Lauren warf mir einen bitterbösen Blick zu. »Was ist daran so komisch?«
Am liebsten hätte ich sie gefragt, was so wunderschön daran sei, mit der halben Footballmannschaft Analverkehr zu haben, sagte aber stattdessen: »Tut mir leid. Das hatte nichts mit deiner Bemerkung zu tun. Das war Nervosität.«
»Ach ja? Weil ich glaube, du hast mich ausgelacht.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Slim. Lauren und ich sahen einander an, während ich mir auf die Unterlippe biss und versuchte, nicht zu lachen. »Denken Sie daran, sachlich zu bleiben. Was würden Sie der Figur Woolworth denn empfehlen ?«
»Ich seh das total wie Lauren«, sagte Summer, die normalerweise keinen Hehl daraus machte, dass sie Lauren für ihre Feindin hielt. »So, wie es geschrieben ist, läuft es darauf hinaus, dass Woolworth jeden total verachtet, der sich mit seiner Sexualität wohl fühlt. Und die Figuren, die diese Krankheit bekommen, werden als sexgeile Schwachköpfe dargestellt. Ihr Charakter wird darauf reduziert. Als würden sie vorsätzlich eindimensional gezeichnet.«
[138] »Darin steckt übrigens eine gewisse Ironie«, sagte der Hipster. »Der Text macht Menschen runter, nur weil sie auf Sex stehen – womit ich, nebenbei bemerkt, nicht einverstanden bin. Dabei wird in diesem Auszug mehr über Sexualität geschrieben als in allen anderen Texten, die bisher in diesem Kurs verteilt wurden.«
Viele nickten. Diskret pustete ich aufwärts, um mein Gesicht zu kühlen, und lockerte meine Krawatte.
»Sogar der Titel, Neurotica, wie in Erotica«, sagte Malik. »Da geht’s gleich sexy los.«
»Bekommt die Geschichte durch die Ironie nicht eine neue Ebene?«, fragte Slim.
»Schon«, sagte Malik, »aber gleichzeitig gilt doch, na ja – man sollte Leute nicht danach beurteilen, was sie mit ihren Körpern machen.«
Plötzlich fiel es mir auf: Wieso dachten alle Freidenker immer dasselbe?
»Echt, Mann«, sagte Braxton. »Wir sind doch keine Pilger.«
»Ach ja, du hast es doch nicht mal gelesen.« Der Satz kam einfach so aus meinem Mund geschossen, und über den scharfen Tonfall war ich selbst überrascht.
» Was hast du gerade gesagt?«
»Es reicht«, sagte Slim.
»Darf ich nur eins sagen?«, fragte ein gutgekleideter, schlanker junger Mann, dessen Kurzgeschichte ich für moralisierend gehalten hatte.
»Ja.«
»Ich mag Woolworth. Es ist erfrischend, jemanden mit konservativen –«
[139] »Nein«, sagte ich und spürte, wie mein Gesicht rot anlief.
»– konservativen und christlichen Werten zu sehen.«
»Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein. Das ist nicht die Botschaft, die ihr aus diesem Text beziehen solltet. Woolworth ist nicht konservativ.«
»Meine Güte. Ich will dir doch nur helfen, Alter.«
»Danke, und entschuldige bitte. Aber wenn überhaupt, ist er ein wütender, radikaler Progressiver.«
»Das hab ich völlig anders gesehen«, sagte Haley. »Sieht das irgendwer so?«
»Ich halte Woolworth für einen frechen Rüpel, eine Art Punk«, sagte Lauren, die mich immer noch ganz böse ansah.
»Ja«, sagte ich. »Genau. Er ist ein Punker. Er ist Punkrock.«
»Das meine ich aber nicht positiv.«
»Und was ist mit deinem Anzug?«, fragte Kirstie.
»Was soll der Scheiß?«, sagte ich. »Kritisierst du mich als Person ?«
»Ich sag bloß, jeder, der schon mal Sex hatte, weiß, dass es nix Schlechtes is«, sagte Braxton.
»Noch mal«, sagte ich. »Ich glaube, wer meinen Text nicht gelesen hat, sollte sich an dieser
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