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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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im Stich, und man musste etwas unternehmen. Man befand, die einzige Lösung sei, dass Großmutter zu uns ins Haus zog. Natürlich baute Dad tagtäglich mehr ab, und so blieb es in erster Linie Mom überlassen, sich um Grandma zu kümmern. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als Grandma in ein Pflegeheim zu geben.
    Um die Zeit, als ich in die Highschool kam (und als ich einen großen Wachstumsschub erlebte), mussten wir Dad in dasselbe Pflegeheim geben, in dem sich schon seine Mom befand. Wenigstens war ihnen nicht bewusst, dass der oder die andere auch dort war. Ich war froh, dass man sie in verschiedenen Trakten untergebracht hatte, weil ich die Vorstellung nicht ertrug, wie sie in Rollstühlen aneinander vorbeigeschoben wurden, ohne dass sie miteinander sprachen.
    Das war aber noch nicht alles. Einige Jahre zuvor erlitt meine geliebte Tante Faye einen Schlaganfall, der auf ihren Diabetes zurückzuführen war. Sie konnte noch Jahre danach tätig sein, brauchte aber schließlich auch Vollzeitpflege, weshalb meine Mom und ich jetzt drei Personen im selben Pflegeheim besuchen mussten. Nach einem langen Tag auf Osborne ging ich direkt in das Heim und »machte meine Runde«, wie ich es nannte. Manchmal waren meine Mom und ich zu erledigt, um alle drei zu besuchen, dann [201]  hatten wir den restlichen Abend Schuldgefühle, weil wir einen von ihnen vernachlässigt hatten.
    Als wäre das noch nicht genug, hatte ich Schwierigkeiten mit dem Übergang von der privaten zur öffentlichen Schule. Es war wieder so wie in der ersten Klasse: Ich kam mir vor wie ein Fremder unter Freunden, die sich schon ein Leben lang kannten. Die Hälfte der Schüler von Blessed Sacrament hatte sich für St.   Clement’s entschieden (so wie Chloe), und die andere Hälfte sah ich selten, weil Osborne so verdammt groß war. Osborne High hatte die Tendenz, selbst gute Bekannte regelrecht und auf Nimmerwiedersehen zu verschlucken.
    Ich hatte mich aus dem masochistischen Wunsch heraus für Osborne entschieden, voll in das öffentliche amerikanische Highschool-System einzutauchen. Ich betrat Osborne in dem Outfit, das ich seit der siebten Klasse getragen hatte, als ich mich mit den von meiner Mutter gekauften Klamotten aktiver befasste. Ich trug Vans, Baggy Jeans und obenrum an manchen Tagen ein schickes Hemd von Lazarus oder Marshall’s, an anderen Spaßhemden wie ein Dolly-Parton-T-Shirt, das ich auf dem Flohmarkt gefunden hatte. Schon damals versuchte ich mit diesem Skater-Popper-Freak-Look dem Teenager-Schubladendenken zu entkommen. Mich anzupassen, hatte ich schon lange aufgegeben.
    Als ich die zehnte Klasse zur Hälfte hinter mir hatte, starb meine Großmutter. Bald darauf waren wir mit dem Pflegeheim so unzufrieden, dass wir Dad nach Hause holten. Mittlerweile war er so gebrechlich, dass Mom Betreuerinnen nehmen musste. Das waren liebe, ältere Frauen, doch solange sie im Haus waren, hatte ich das Gefühl, dass [202]  ich mich nicht entspannen und ich selbst sein konnte. Mir fiel nichts Besseres ein, als in meinem Zimmer zu bleiben, bei geschlossener Tür. Damals wurden mir Bücher wichtig. Andere Jugendliche hatten ihre Drogen und Alkohol, doch solche Sachen hatten ein geselliges Element, während ich von Tag zu Tag ungeselliger wurde. Außerhalb der Schule unternahm ich mit niemandem etwas, lud auch keinen zu mir ein, weil niemand etwas über die merkwürdige Situation bei mir zu Hause erfahren sollte. Ich wollte auch nicht anfangen zu trinken oder zu kiffen, weil ich das für gefühllos gegenüber meiner Mutter gehalten hätte, die immer noch unter ihrer eigenen angegriffenen Gesundheit litt und ständig überlastet und übermüdet war. Ein typisches Wochenende für mich bestand also in der Lektüre gebrauchter Taschenbücher – alles von Jean-Paul Sartre über Carson McCullers bis Langston Hughes –, die ich nur unterbrach, um mir alte Filme anzusehen, die ich mir in der Bibliothek auslieh. Der versteinerte Wald war einer meiner Lieblingsfilme.
    Als ich in die elfte Klasse kam, hatte uns die Krankheit meines Vaters finanziell so gebeutelt, dass ich zum ersten Mal einen kleinen Eindruck davon bekam, wie es war, wenn man nicht genug Geld hatte. Wir konnten es uns nicht mehr leisten, regelmäßig Betreuerinnen zu nehmen. Mom hätte mich damit am liebsten verschont, doch ich half gelegentlich, Dads Windeln zu wechseln. Und dann und wann half ich auch, ihn zu füttern, doch irgendwann vergaß er, wie man aß, und bekam eine

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