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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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etwas zu tun. Ich hatte das Gefühl, dass alle anderen einander kannten und ich der uneingeladene Gast war, der nur höflich zuhören sollte. Einige kannten sich bereits, weil sie in ihrer Wohngegend zusammen im Freien gespielt hatten. Ich selbst hatte nie das geringste Interesse verspürt, mit den Nachbarskindern zu spielen. Ich spielte am liebsten allein, entweder im Haus, wo ich mir ausgeklügelte Spielhandlungen für meine G.I. Joes ausdachte, [195]  oder in unserem weitläufigen Garten hinterm Haus, wo ich von unseren Backsteinmauern Tennisbälle abprallen ließ. Manchmal hörte ich die Nachbarskinder schreien, dann spähte ich durch die Lücken unseres Lattenzauns und sah sie auf ihren Rädern fahren.
    Am Ende des ersten Schultags dachte ich: Soll das die nächsten zwölf Jahre wirklich so weitergehen? Ich weinte und flehte meine Eltern an, mich nicht wieder zurückzuschicken. Schließlich gab es einen, der mich wieder auf die Spur brachte: Tyler. Eines Tages unterhielten wir uns beim Mittagessen über Nintendo und wurden bis zum Ende der sechsten Klasse unzertrennlich.
    Als ich in die zweite Klasse kam, hatten meine Mom und mein Dad lange genug gearbeitet, um sich zur Ruhe zu setzen. Etwa um diese Zeit wurde mir bewusst, dass ich ältere Eltern hatte. Kein anderer hatte Eltern im Ruhestand. Außerdem ließen sich meine Eltern häufiger auf Schulveranstaltungen blicken, so dass ich jetzt meinen Mitschülern oft erklären musste, dass die Leute, mit denen sie mich zusammen gesehen hatten, nicht meine Großeltern waren. Nicht selten sagte ich als kleiner Junge kurz angebunden: »Meine Eltern haben mich spät im Leben bekommen, klar?«
    Doch schon damals wusste ich, dass es gut war, ältere Eltern zu haben. Sie waren ungewöhnlich geduldig und machten mich zum Mittelpunkt ihres Lebens. Das Ganze hatte nur einen Nachteil: Weil sie älter waren, machte ich mir oft Sorgen, dass sie früh sterben könnten. Diese Angst verstärkte sich noch in der zweiten Klasse, als meine Mom Herzprobleme bekam. Bei zwei unterschiedlichen [196]  Gelegenheiten tauchte zu meiner Überraschung mein Vater in der Tür des Klassenzimmers auf, gefolgt von der Lehrerin, die herbeieilte und mir etwas zuflüsterte wie: »Vergiss die Bücher und deine Hausaufgaben. Geh einfach.« Was daran lag, dass meine Mom ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Ich akzeptierte, dass wir mit diesen Gesundheitsproblemen einfach leben mussten. Andere Kinder mussten damit klarkommen, dass ihre Eltern sich scheiden ließen; ich musste halt damit klarkommen.
    Mit elf fiel mir auf, dass mein Vater sich anscheinend plötzlich weniger zu mir hingezogen fühlte. Schon wenn ich allein mit ihm im selben Zimmer war, wurde er nervös, und seine Umarmungen fühlten sich anders an – als wolle er mich nicht berühren, und eine Kleinigkeit genügte, um ihn in schlechte Laune zu versetzen. Weil ich ihn so aufregte, sah ich mir immer seltener Baseballspiele mit ihm im Fernsehen an.
    Im Sommer zwischen der sechsten und siebten Klasse bat mich meine Mom, mit ihr in den Vorgarten zu kommen, sie wolle mit mir reden. Sie fragte, ob ich bemerkt hätte, dass Dad sich anders benahm. Dann erzählte sie mir, Dads kürzliche Arztbesuche seien keine Routinetermine gewesen, wie sie mir weisgemacht hatte. Als sie mir verriet, was wirklich los war, versetzte mich diese Neuigkeit in eine Art irrealen Zustand: Das konnte unmöglich wahr sein. Das passierte doch nicht den Vätern elfjähriger Jungs, sondern allenfalls Großeltern. Es war, als sähe ich einen Film über jemand anderen, einen furchtbaren Film, der an der Kinokasse mies abschnitt, weil ihn niemand sehen wollte. Es war ein Film, den man nie hätte drehen dürfen.
    [197]  Ich fragte sie, ob es heilbar sei, doch das war es natürlich nicht. Die Einfassung des Blumenbeets vor unserem Haus war aus Backsteinen, und ich fing an, auf den Backsteinen zu gehen, die Füße von Ferse zu den Zehen abzurollen, als balancierte ich auf einem Schwebebalken, während Mom mir sagte, wir würden alles Menschenmögliche unternehmen: die Klinik an der Universität von Kentucky aufsuchen, ihn mit ganz neuen Medikamenten behandeln lassen etc. Doch das alles bedeutete mir nichts, weil es gar nicht wirklich geschah.
    Kurz nachdem sie mir die schlechte Neuigkeit erzählt hatte, nahm mich meine Mom mit zu einer Baseball-Sammelkartenmesse im Hotel Ramada Inn. Baseballkarten zu kaufen, machte mich normalerweise glücklich, so wie Spielsachenkaufen mich

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