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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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glücklich gemacht hatte, als ich noch etwas jünger war. Doch an diesem wolkenverhangenen Tag bedeuteten mir die Kisten voller Karten gar nichts. Alle Verkäufer in ihren Ständen sahen aus wie haarige alte Fieslinge, und zum ersten Mal sah ich sie als unredliche Männer, die mich über den Tisch ziehen wollten. Man spielte »What becomes of the Broken-Hearted«, eine neuere Version, und als ich dem Song lauschte und spürte, wie mir meine Mom schweigend und geduldig folgte, und als ich mir eine Karte von Mark McGwire als Rookie aussuchte, nur weil ich mich beeilen und irgendwas nehmen sollte, damit wir wieder gehen konnten, wurde mir klar, dass nichts je wieder wie früher seine würde und mir einige schwierige Jahre bevorstanden. Ich wusste, von nun an würde ich immer ein wenig traurig sein. Genau in diesem Augenblick endete wohl meine Kindheit.
    [198]  Am ersten Schultag in der siebten Klasse merkte ich sofort, dass auch die Welt um mich herum reifer wurde. Da ich eine Privatschule besuchte, die bis zur achten Klasse ging, musste ich wenigstens nicht auf eine Junior Highschool wechseln wie die Kinder von öffentlichen Schulen. An diesem Morgen gingen ein paar Mädchen herum und forderten die Jungs auf, etwas zu sagen, egal was. »Warum?«, fragte ich. »Weil wir herausfinden wollen, wer im Sommer in den Stimmbruch gekommen ist.« Aus irgendeinem Grund beschloss ich, das Wort »Makkaroni« zu sagen, und sie lachten, weil ich eindeutig im Stimmbruch war. Ich schämte mich. Vormittags versammelten sich alle Jungs, setzten sich auf den Fußboden und unterhielten sich über Dinge, von denen ich zuvor nur in den nicht jugendfreien Filmen gehört hatte, die mich meine Eltern sehen ließen. Ich dachte dauernd: Was macht der Lehrer da? Warum können wir nicht endlich mit dem Unterricht anfangen? Ich saß stumm da und hoffte, dass niemand mich nach meinem Dad fragen würde. Tyler wusste das mit meinem Vater; meine Mom hatte es seiner Mom erzählt. Anscheinend wusste es kein anderer auf meiner Schule. Ich sprach nie darüber. Ich machte weiter, als sei alles in Ordnung, und nachdem ich schon immer für meinen Humor bekannt gewesen war, beschloss ich jetzt, ein veritabler Klassenclown zu werden, weil andere zum Lachen zu bringen, mir das Gefühl gab, das Leben sei nicht gar so traurig. Auch fand ich heraus, dass dieser zusätzliche komödiantische Aufwand es mir ermöglichte, neue Freunde zu finden, was auch nötig war, weil Tyler und ich uns voneinander entfernten, genauer gesagt: Er wurde cooler und ich weniger cool, und [199]  das war die Zeit im Leben, wo sich ein Junge intensiv bewusst wird, wie cool oder uncool er ist.
    Unterdessen verließ uns mein Vater nach und nach. Als ich in die achte Klasse ging, musste meine Mom Dad den schrecklichen Vorschlag unterbreiten, nicht mehr Auto zu fahren. »Aber ich bin doch ein ausgezeichneter Fahrer«, sagte er.
    Wenn meine Mom aus seinem Sichtfeld verschwand, bekam er jedes Mal Angst. Sie versuchte, die Lage für mich möglichst normal zu gestalten, doch einmal hatte sie selbst einen Arzttermin wegen ihres Herzens, und ich musste allein bei Dad zu Hause bleiben. Er wurde völlig verwirrt und sagte immer wieder, er müsse meine Mom finden. Doch Mom hatte mir erzählt, wie manche dieser Kranken aus dem Haus stürmten und nicht mehr zurückfanden. Doch ich würde nie zulassen, dass die Nachbarn meinen Dad so sahen. Daher musste ich ihm Auge in Auge gegenübertreten und die Hintertür blockieren, während ich ihn pausenlos anflehte zu bleiben und schwor, Mom käme jeden Moment zurück.
    Während Dad all das widerfuhr, ging es mit der Gesundheit seiner eigenen Mutter ebenfalls bergab. Als Kind hatte ich mich auf jede Fahrt nach Louisville gefreut, um sie zu besuchen, und ich war jedes Mal begeistert, wenn sie uns besuchen kam und wir sie an dem alten Greyhound-Busbahnhof abholten, der inzwischen längst geschlossen ist. Damals war sie eine elegante, piekfeine Dame gewesen, die mich an Katharine Hepburn erinnerte. Ich fühlte mich geschmeichelt, wenn sie mir gewisse Dinge zuflüsterte, wie dass jemand schwarz, schwul, schwanger oder geschieden [200]  war. Irgendwie war ihr Flüstern lauter, als wenn sie es einfach laut gesagt hätte. Noch bis sie Mitte neunzig war, legte sie großen Wert auf ihre Unabhängigkeit, ging täglich zu Fuß in die Kirche und benutzte die öffentlichen Verkehrsmittel mit größerem Geschick als jeder Jugendliche in Louisville. Doch ihr Verstand ließ sie

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