Ich gegen Osborne
mit bekannten Künstlern zusammen, wenn sie auf Tournee waren, wie mit dem legendären Jazz-Drummer Gene Krupa. Als ich Dad fragte, wie Krupa so war, antwortete er nur, er sei wild. Ich fragte mich, wie wild mein Dad war. Auf Schwarzweißfotos von ihm, als er noch jünger war, sah er aus wie ein verschmitzter Hipster, weit weltmännischer, als ich je sein würde. Bevor er meine Mom kennenlernte, war er schon dreimal verlobt gewesen, aber nie verheiratet. Er trank gern Bier und erzählte Geschichten von Kneipenschlägereien, in die er geraten war – meist wegen irgendeines Baseballspiels. Nach meiner Geburt mochte er immer noch Bier, traf sich aber nie mit Kumpels in Kneipen oder dergleichen. Abends war er immer zu Hause. Es gab keinen verlässlicheren Vater als ihn. Wenn ich an ihn denke, sehe ich ihn vor mir, wie er sich im Fernsehen ein Baseballspiel der Cincinnati Reds ansieht, in der Hand sein rundliches Bierglas. Ich sah abwechselnd mit ihm ein Baseballspiel und aß seine Pretzeln, dann ging ich ins Nebenzimmer, wo ich mir mit meiner Mom Dallas oder so etwas ansah.
Meine Mom stammte aus dem winzigen Ort Filbert ganz in der Nähe von Vandalia. Ihre Kindheit verbrachte sie auf einer Farm, und als sie mir erzählte, dass sie als kleines Kind ein Plumpsklo im Garten benutzen musste, konnte ich es kaum glauben. Als sie zehn war, zog ihre Familie in die Stadt. Ihr Vater baute ihnen ein Haus an der Main Street. Ich fand es erstaunlich, dass ein Verwandter von mir sein eigenes Haus gebaut hatte. Ich hatte überhaupt keine [193] Fähigkeiten (nicht einmal schriftstellerische, wie ich eben herausgefunden hatte).
Mom war in den 1950er Jahren ein Teenager, worum ich sie beneidete. Ich fragte sie oft danach, wie Vandalia früher war, als es in der Innenstadt noch zwei Kinos gab und Getränkespender und die Leute sich schick kleideten und alles besser war. Sie heiratete kurz nach der Highschool und zog nach Bowling Green, ließ sich aber bald scheiden, als sie ein schlimmes Heimweh packte. Wegen ihrer unglaublichen Liebe und Hingabe für die Familie – ganz zu schweigen von ihrer gesteigerten Sensibilität gegenüber allen, denen sie begegnete – wurde sie für mich zum Symbol für Güte. Beispielsweise forderte Mom nach jedem Weihnachtsfest, wenn ich üblicherweise mit Geschenken überschüttet wurde, meinen Dad auf, den Weihnachtsmüll über mehrere Wochen verteilt rauszubringen, damit die Müllmänner nicht all die Spielzeugverpackungen sahen und sich schlecht fühlten, falls ihre Kinder nicht so ein gutes Fest hatten.
Ihr Heimweh kehrte viele Jahre später zurück, mit ihrer Arbeit als Außendienstleiterin der Sozialversicherungsbehörde, die erforderte, dass sie viel unterwegs war. Wir sprechen hier vom Beginn der sechziger Jahre, als es nicht üblich war, dass Frauen allein reisten, und Mutter war stolz auf ihre Unabhängigkeit. Später, nachdem sie Dad kennengelernt hatte, fuhr er manchmal dorthin, wo sie sich gerade aufhielt. Damals verlangten einige Motels, dass eine Frau ihre Zimmertür offen stehen ließ, während sie Herrenbesuch hatte, eine Vorschrift, auf deren Einhaltung man heutzutage in Panama City Beach bestimmt nicht bestand.
Als Mom Dad überredet hatte, nach Vandalia zu ziehen, [194] heirateten sie 1971 im dortigen Standesamt. Sie ließen sich etwas Zeit mit dem Versuch, ein Kind zu bekommen, und als sie schließlich mich bekamen, mussten sie sich damit abfinden, dass Fremde mich für ihren Enkel hielten. Höflich berichtigten sie jeden, der diese Annahme äußerte. Ein- oder zweimal hörte ich die beiden murren, sie wünschten, die Leute würden keine voreiligen Schlüsse ziehen, doch sie nahmen es als Ärgernis hin, das bei älteren Eltern einfach dazugehörte. (Ich lernte früh, das Wort »ältere« statt »alte« zu verwenden.)
Meine Kindheit wurde weniger angenehm, als ich die erste Klasse der katholischen Grundschule Blessed Sacrament besuchte und meine älteren Eltern seltener sah. Der Kindergarten war nur halbtags gewesen, und außerdem hatte die liebe, matronenhafte Kindergartentante einen Narren an mir gefressen. Doch mit der ersten Grundschulklasse begann meine bewegte und schwierige Schullaufbahn. Meine Lehrerin war zwar in Ordnung, doch die Schultage waren lang und die Kinder laut und aggressiv. Am ersten Schultag schlugen die Jungs beim Mittagessen ihre Brotdosen so laut gegeneinander, dass ich zusammenzuckte und sie am liebsten gefragt hätte, warum sie das Bedürfnis hatten, so
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