Ich geh jetzt in dein Karma rein
fasste mir an die Stirn und überlegte, wie ich Gisela möglichst schonend beibringen konnte, dass Rüdiger ihr Treffen rein professionell betrachtet hatte. Als Echtkörper-Zusatzleistung zu ihrem bisherigen Service sozusagen.
Gisela: »Meinst du, ich soll ihm etwas zurückgeben? Kannst du mal in die Karten gucken?«
In dem Moment klingelte Giselas zweites Telefon.
Gisela: »Ich muss auflegen! Kundschaft!«
Halleluja.
Wer jetzt denkt, es sei etwas sehr Ungewöhnliches, dass eine Esoterik-Beraterin sich mit ihren männlichen Kunden trifft, den muss ich enttäuschen. Auch wenn es vonseiten der Esoterik-Portale strikt verboten ist, dass Berater mit den Anrufern private Telefonnummern oder Adressen austauschen, so passiert es dennoch ständig. Nehmen wir Rita, eine andere Kollegin, die mich ebenfalls regelmäßig kontaktierte. Sie war knapp über vierzig und bezeichnete sich in ihrem Eso-Profil als hellsichtiges Medium. Rita rief mich meistens am Sonntagabend an, um mit mir ihre wöchentliche Ausbeute zu besprechen – Ausbeute in Form von männlichen Kunden. Rita hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, über ihre Gespräche den »Richtigen« kennenzulernen. Die meisten Männer riefen sie zwar an, weil sie selbst an Liebeskummer litten und entweder wieder mit der Ex zusammenkommen wollten oder mit der Dame, in die sie heimlich verliebt waren. Doch das störte Rita herzlich wenig. Sie benutzte eine clevere Strategie, um an die Objekte ihrer Begierde zu kommen:
Phase 1:
1. Auf Zeit spielen. Dem Mann ausschließlich positive Dinge erzählen. Seine Herzdame ist im Moment blockiert, und er müsse ihr Zeit geben, damit sie merkt, dass sie nur ihn will. Übersetzt: Damit der Kunde am Ende merkt, dass er nur Rita will.
2. Für alle seine Probleme großes Verständnis zeigen. Ihm das Gefühl geben, er wäre immer im Recht.
3. Das Vertrauen des Mannes gewinnen, indem man ihm süßesten Honig um den Bart schmiert. Eigentlich habe er das alles gar nicht nötig, denn einen wie ihn würde sich jede Frau wünschen. Er habe etwas weitaus Besseres verdient, die Herzdame bringt ihm viel zu wenig Wertschätzung entgegen.
4. Ruft der Mann nahezu täglich an und bleibt bis zur automatischen Rufunterbrechung in der Leitung, ist der erste Etappensieg erreicht.
Phase 2:
1. Durch die täglichen Gespräche ist das Budget des Kunden so gut wie erschöpft, eigentlich kann er sich keine weiteren Gespräche mehr mit Rita leisten.
2. Der Mann hat das Gefühl, keinen Tag mehr ohne die verständnisvolle Hellseherin überstehen zu können. Sein Kontostand zwingt ihn, nach Ritas privater Telefonnummer zu fragen.
3. Rita ziert sich und verweist darauf, dass es ihr nicht gestattet ist, persönliche Daten an Kunden weiterzugeben. Damit weckt sie seinen Jägerinstinkt.
4. Der Kunde bleibt am Ball, und bald beschäftigt ihn nicht mehr seine eigentliche Herzdame, sondern nur noch die Frage, wie er an die private Nummer »seiner« Hellseherin kommen kann, die für ihn mittlerweile so viel mehr ist als nur eine Stimme am Telefon. Er empfindet die Beziehung zu Rita lange nicht mehr als rein geschäftlich, sondern als sehr persönlich.
Phase 3:
1. Rita erhört endlich sein Flehen und rückt die heißersehnte Nummer heraus, unter der der Mann sie nun zu einem speziellen Freundschaftspreis erreichen kann.
2. Die Herzdame ist passé. Dem Mann ist längst klar, dass sie spirituell überhaupt nicht zu ihm gepasst hat und er nach seiner Seelenpartnerin suchen muss.
3. Er spürt immer deutlicher, dass er und Rita auf derselben geistigen Welle reiten. Wie vom Donner gerührt erkennt er, dass er eigentlich schon die ganze Zeit über mit seiner Seelenpartnerin telefoniert.
4. Er teilt Rita seine Empfindungen mit, und sie erwidert diese. Die beiden treffen sich. Rita ist am Ziel.
Was soll man dazu sagen? Ich bemühte mich, mir meine moralischen Bedenken zu verkneifen, und tröstete mich damit, dass Ritas Männer es bislang alle noch geschafft haben, sich früher oder später von ihr zu emanzipieren.
Meine Beratungen bot ich nicht nur am Telefon an. E-Mail-Beratungen und Chats gehörten ebenfalls zu meinem Service. Einmal erhielt ich folgende kuriose Kundenanfrage per E-Mail:
Liebe Bianca,
mein Name ist Russia, geboren am 16.10.1965. Ich bin unglücklich in einen Mann verliebt, der auch auf meiner Arbeit ist. Er heißt Rudi und ist verheiratet. Ich glaube, dass er vier Kinder hat. Ich habe schon mal mit ihm geredet, aber mehr nicht. Durch das Medium
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