Ich gehoere zu dir
sah ich Mutter unsicher dastehen. Voller Freude rannte ich auf sie zu, die anderen hinter mir her. Als ich das Gatter erreichte, machte ich völlig perplex Halt.
Die Hündin hatte das gleiche kurze Fell wie Mutter, den gleichen schwarzen Fleck über dem Auge und die gleiche rundliche Schnauze, aber es war nicht Mutter. Sie duckte sich und urinierte vor Schreck, als alle angelaufen kamen. Wir umrundeten sie erst einmal, nur der Schnelle beschnupperte ohne viel Federlesens ihr Hinterteil.
Bobby stand genauso da wie an dem Tag, als wir hier angekommen waren: resigniert und mit hängenden Schultern. Aber er blieb in der Nähe der Hündin und schützte sie mit seinem Körper vor uns.
»Alles wird gut, mein Mädchen«, sagte er. »Alles wird gut.«
Es war Schwesterchen. Ich hatte sie fast völlig vergessen, und als ich sie jetzt genauer betrachtete, wurde mir klar, wie sehr sich das Leben auf der anderen Seite des Zaunes von dem unseren unterschied. Schwesterchen war so dünn, dass man ihre Rippen sehen konnte, und eine lange, nässende Narbe lief ihr quer über die Flanke. Ihr Atem roch nach verfaultem Fleisch, und beim Urinieren kam stinkendes Zeug aus ihrer Blase.
Der Schnelle war überglücklich, aber Schwesterchen hatte so viel Angst vor den anderen Hunden, dass sie seine Aufforderung zum Spielen ignorierte. Sie katzbuckelte vor dem Leithund und ließ sich von den anderen beschnuppern, ohne auch nur andeutungsweise ihre Intimsphäre zu verteidigen. Als alle sie hinreichend begutachtet hatten und sich desinteressiert von ihr abwandten, näherte sie sich vorsichtig dem Wassertrog und trank ein paar Schlucke, als würde sie jemandem etwas stehlen.
Das gab mir zu denken: Schwesterchen war ein abschreckendes Beispiel dafür, wie es Hunden erging, die meinten, sie könnten ohne Menschen leben! Sie wurden angegriffen, verletzten sich und waren dem Verhungern nahe. Wären der Schnelle und ich in unserem Flussbett geblieben, stünden wir jetzt genauso erbärmlich da wie unsere Schwester.
Der Schnelle wich ihr nicht von der Seite. Mir wurde klar, dass er schon immer einen Narren an ihr gefressen hatte und sie mehr liebte als Mutter. Er küsste sie sogar und verbeugte sich vor ihr. Aber das machte mich nicht neidisch, denn ich hatte ja Coco.
Eifersüchtig machte mich jedoch die Aufmerksamkeit, die Coco neuerdings von anderen Rüden bekam. Die glaubten wohl, einfach zu ihr kommen und mit ihr spielen zu können, als ob ich keine Vorrechte hätte. Im Grunde stimmte das ja auch. Ich kannte meine Position innerhalb der Meute, und im Großen und Ganzen war ich damit einverstanden, denn die Ordnung gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Andererseits wollte ich Coco für mich allein haben und fand es nicht lustig, wenn ich einfach abgedrängt wurde.
Neuerdings schienen alle ganz wild auf das Spiel zu sein, das ich erfunden hatte, schlichen sich an Coco heran und besprangen sie dann von hinten. Mit kalter Schadenfreude registrierte ich, dass Coco dieses Spiel mit den anderen genauso wenig spielen wollte wie mit mir.
Am Morgen nach Schwesterchens Ankunft kam Bobby wieder in den Hof und holte ein paar von uns ab, um sie in einen Käfig auf seinem LKW zu stecken: den Schnellen, Schwesterchen, Coco, einen frechen jungen Rüden namens Kusch und mich. Es war eng und laut in dem Käfig, aber ich genoss den Fahrtwind – und das dumme Gesicht des Schnellen, als ich ihm aufs Fell nieste. Seltsamerweise saß eine Hündin mit langem Fell vorne im Wagen bei Bobby und Carlos. Genau wie wir hatte sie bislang ganz normal mit uns im Hof gelebt. Was war an ihr so besonders, dass sie jetzt vorne bei den Menschen sitzen durfte? Wenn ihr Geruch durchs offene Fenster nach hinten wehte, wurde mir ganz anders, und ich fühlte mich plötzlich so stark und männlich wie nie zuvor.
Wir parkten unter dem einzigen Baum, der auf dem stickigen Parkplatz ein bisschen Schatten spendete. Bobby ging mit der Hündin in das angrenzende Haus, und Carlos kam zu uns an den Käfig. Alle außer Schwesterchen drängten ihm entgegen.
»Komm her, Coco«, rief er. »Coco!« Seine Finger rochen nach Erdnüssen und Beeren, und es war noch ein süßliches Aroma dabei, das ich nicht identifizieren konnte.
Wir anderen bellten – zuerst weil wir beleidigt waren, dass Coco als Einzige in das Haus geführt wurde, und schließlich einfach nur aus Spaß an der Freud. Dann landete ein großer schwarzer Vogel in dem Baum über uns und sah auf uns herab, als seien wir komplette
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